Inflationssorgen, Zinswende – Zeitenwende?

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21.11.2022

Die Einbrüche auf den Finanzmärkten und die steigende Inflation geben Anlass, ein düsteres Bild für 2023 zu zeichnen. Auch Stiftungen treibt die Sorge um ihr Portfolio um. Constantin Bolz, Finanzmarktexperte und Senior Portfoliomanager Vermögensverwaltung bei der Pax-Bank, ordnet die aktuelle Situation ein und gibt einen Ausblick auf die weitere Entwicklung.

  • Weltweit sind die Aktien- und Anleihenindizes in 2022 um 15 bis 30 Prozent gefallen.
  • Diversifikation hat in diesem Jahr nicht viel gebracht.
  • Eine zehnprozentige Inflation kann man nur mit einer Rezession eindämmen.

Das Jahr 2022 geht aufs Ende zu. Wie blicken Sie als Finanzmarktexperte auf das schwierige Jahr?

Constantin Bolz: Das Jahr bietet aus meiner Sicht alles, um in die Finanzmarkts-Geschichtsbücher einzugehen. Nicht etwa, weil die Menschen es so drastisch empfinden wie das Krisenjahr 2008, in dem die Aktien teils um 40 oder 50 Prozent fielen. Und es ist auch nicht zu vergleichen mit dem Frühjahr 2020, als innerhalb von drei Wochen die Märkte um 30 Prozent absackten. Dennoch würde ich das Jahr 2022 als historisch einordnen – aus mehreren Gründen: Egal, welchen Aktienindex oder welchen der 14 Sektoren sie betrachten, weltweit sind sie alle in diesem Jahr um 20 bis 25 Prozent gefallen. Es geht unisono konstant runter. Einen so gleichgeschalteten Negativtrend hat es in der Vergangenheit nicht gegeben. Nur ein Sektor entwickelt sich entgegen dem Trend positiv: der Energiemarkt – was nicht weiter überrascht.

Heißt es im Umkehrschluss, dass jetzt die Anleihen hochgehen?

Constantin Bolz: Das gelernte Szenario, dass in dem Jahr, in dem die Aktien fallen, die Anleihen hochgehen – eigentlich Sinn und Zweck eines diversifizierten, ausbalancierten Depots – trifft in diesem Jahr ebenfalls nicht zu. Die Anleihen haben genauso verloren, zwischen 15 und 25 Prozent. Dass Aktien und Anleihen gleichzeitig in diesem Ausmaß fallen, hat es so auch noch nicht gegeben. Um es abzukürzen: Es ist also völlig egal, wo man investiert hat, Diversifikation hat in diesem Jahr nicht viel gebracht.

Constantin Bolz

Der Anlageexperte ist Senior Portfoliomanager bei der Pax-Bank. Zuvor arbeitete er unter anderem acht Jahre im Chief Investment Office der Schweizer Großbank UBS und zuletzt für einen privaten Vermögensverwalter in Köln. Bolz hat Volkswirtschaftslehre in Köln, Barcelona und München studiert. Außerdem ist er Chartered Financial Analyst.

Foto: Pax-Bank

Wie ist die steigende Inflation in dieser Gemengelage zu bewerten?

Constantin Bolz: Das Inflationsproblem ist das, was uns derzeit alle am meisten bewegt. Der Kampf gegen die massive Inflation wird nun mit höheren Zinsen geführt. Dafür muss man kurz zurückblicken: Das Desaster hat seinen Ursprung im Frühjahr 2020, als die Zentralbanken, die eigentlich ein Inflationsziel von zwei Prozent verfolgen, ungeahnte Geldmengen in das System geschüttet haben, mit dem Sinn und Zweck, Finanzsystem und Wirtschaft am Leben zu erhalten. Gleichzeitig haben die Lieferengpässe dazu geführt, dass es kaum noch ein Angebot an Gütern gab. Das Ungleichgewicht von Nachfrage und Angebot, das daraus resultierte, hat das Fass letztendlich zum Überlaufen gebracht. Worin sich die meisten renommierten amerikanischen Universitätsprofessoren einig sind: Eine zehnprozentige Inflation kann man nur mit einer Rezession eindämmen. Demnach muss es leider richtig wehtun. Runter kommt die Inflation also nur, wenn man die Wirtschaft abkühlt und in die Rezession schickt. Das wird Deutschland, Europa, die USA und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Schwellenländer betreffen. Negatives Wirtschaftswachstum heißt wiederum, dass weniger Menschen in Lohn und Brot sind. Die spannende Frage wird sein, wann wir den Höhepunkt der Inflation und damit der Zinsen sehen. Ich gehe davon aus, dass die Inflation in Europa in den nächsten Monaten noch auf dem jetzigen Niveau verbleiben bzw. steigen wird.

Constantin Bolz

Senior Portfoliomanager Vermögensverwaltung

Dass die Rezession das Problem lösen soll, klingt natürlich zynisch, wenn man auf den Arbeitsmarkt blickt.

Wie geht es 2023 weiter?

Constantin Bolz: Die gute Nachricht ist eigentlich kein gute: Die Zentralbänker versuchen jetzt so viel Geld wie möglich wieder aus dem Markt zu nehmen, um die Inflation abzukühlen. Dass die Rezession das Problem lösen soll, klingt natürlich zynisch, wenn man auf den Arbeitsmarkt blickt. Wir können uns darauf einstellen, dass die Arbeitslosenquote 2023 global ordentlich hochgehen wird – trotz Fachkräftemangel, denn die Themen muss man ganz klar getrennt betrachten. Aus der Historie heraus kann man sagen, dass die liquiden Finanzmärkte – also Aktien und Anleihen – in der Regel sechs bis zwölf Monate Vorlauf vor der Realwirtschaft haben. Sie sind also Vorlaufindikatoren zur eigentlichen Wirtschaft. Das negative Bild, das die Finanzmärkte in diesem Jahr schon gezeigt haben, wird sich also in der Rezession nächstes Jahr fortsetzen.

Gibt es für Anleger dennoch positive Aussichten?

Constantin Bolz: Aufgrund der aktuell günstig bewerteten Aktien kann man langsam anfangen, im Depot wieder Aktien aufzustocken. Das wäre aus meiner Sicht nicht unklug. Aber es gibt auch wieder Zinsen auf Anleihen. Wer sich heute von einem deutschen Dax-Konzern eine achtjährige Anleihe kauft, kann mit einer vier- bis sechsprozentigen Verzinsung rechnen. Anleihen sind also durchaus auch wieder ein attraktives Invest. Das heißt: Sowohl auf der Aktien- als auch auf der Anleihenseite ist mittelfristig wieder Geld zu verdienen. Niemand kann sicher sagen, wie es in den kommenden Wochen und Monaten weitergeht, denn wir wissen zum Beispiel nicht, wie sich der Krieg in der Ukraine weiterentwickeln wird. Doch historisch gesehen hat sich ein schlechtes Jahr auf den Finanzmärkten in den Jahren, die darauf folgen, nicht wiederholt – ob bei Aktien oder Anleihen. Die Wahrscheinlichkeit zumindest ist gering.

Ihr Ansprechpartner bei der Pax-Bank

Thomas Schumacher - Stiftungen & Fundraising

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