Digitalisierung: Smart Home schützt das Klima

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20.12.2021

Bis 2030 soll der deutsche Gebäudesektor seine CO2-Emissionen um 51 Millionen Tonnen reduzieren. Laut einer neuen Studie des Digitalverbands Bitkom könnten 30 Prozent dieses Reduktionsziels durch Digitalisierung erreicht werden. Wie realistisch ist diese Einschätzung? Wir haben Rouven Meister gefragt, Geschäftsführer der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft.

  • 14,7 Millionen Tonnen CO2-Emissionen sollen durch digitale Hilfe eingespart werden. Das entspricht 30 Prozent des formulierten Reduktionsziels bis 2030.
  • Dank digitaler Technologie lässt sich Energie intelligent nutzen.
  • Digitale Daten liefern Mieterinnen und Mietern Impulse, wie sie ihren Energieverbrauch senken können.

2020 verfehlte der Gebäudesektor seine im Klimaschutzgesetz festgelegten Sektorziele. Das soll nicht noch einmal passieren. Schließlich entfällt etwa ein Viertel der Klimaemissionen in Deutschland auf die Wohnungswirtschaft. Im Auftrag von Bitkom analysierte das Berliner Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit die Potenziale digitaler Technologien für Klimaschutz und effiziente Energieeinsparung. Hier spielen vor allem intelligente Messsysteme, die zu den digitalen Basistechnologien zählen, und das Management von Wärme und Strom eine entscheidende Rolle.

Dazu haben die Forscherinnen und Forscher drei ausgewählte digitale Technologien auf ihre Potenziale zum Schutz des Klimas und der Energieeffizienz überprüft:

1. Automatisierte Steuerung von Heizung und Warmwassererzeugung

Aktuell entstehen mehr als 90 Prozent des Energieverbrauchs im Gebäudesektor für Heizenergie und Warmwassererzeugung. Wird die smarte Steuerung dieser Prozesse weiterhin zügig ausgebaut, könnten laut Studie bis 2030 jährlich bis zu 5,7 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Möglich wäre sogar eine Reduktion auf 10,8 Millionen Tonnen bis 2030. Hierzu bedarf es jedoch, neben einem hohen Arbeitstempo, auch der Unterstützung durch die Politik. "Mit einer digital gesteuerten Automation der Wärmeversorgung können wir den CO2-Ausstoß im Gebäudesektor in kürzester Zeit drastisch senken", so Bitkom-Geschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. "Wir brauchen Anreize für Eigentümer und Mieter privater und gewerblicher Immobilien, um die entsprechenden Technologien schnell in die Fläche zu bringen."

2. Automatisierte Steuerung von Kühlung und Beleuchtung

Auch Kühlung und Beleuchtung können automatisiert an den aktuellen Bedarf angepasst werden, um einen unnötigen Energieverbrauch zu vermeiden. Durch diese Technologie könnten bis 2025 circa 0,68 Millionen Tonnen CO2 jährlich eingespart werden. Erfolgt der Ausbau besonders zügig, könnten Werte von 0,7 Tonnen CO2 erreicht werden.

3. Intelligente Sektorenkopplung und Flexibilität

Die intelligente Sektorenkopplung sorgt dafür, dass Strom aus erneuerbaren Energien idealerweise genau dann verbraucht wird, wenn er erzeugt wird. Alternativ wird er in Form von Warmwasser oder Batterien gespeichert. In der Praxis bedeutet dies, dass eine effiziente Nutzung das eigene Energieangebot von Gebäuden mit möglichen Speichermöglichkeiten abgleicht. Diese Technologie ist laut Studie bei weiterem Ausbau in der Lage, bis 2030 etwa 2,3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einzusparen.

Dr. Bernhard Rohleder

Geschäftsführer Bitkom e. V.

Mithilfe digitaler Technologien können wir enorme Mengen CO2 einsparen.

Klimaschutzturbo Digitalisierung?

"Mithilfe digitaler Technologien können wir enorme Mengen CO2 einsparen – und das in einem schnelleren Tempo und mit geringeren Investitionen als bei der Dämmung oder Sanierung von Gebäuden", so Bitkom-Geschäftsführer Rohleder. Doch in welchem Ausmaß nutzt die Gebäudewirtschaft solche Technologien bereits? Und wie schätzen Vertreterinnen und Vertreter aus der Praxis die Potenziale ein? Das wollten wir von Rouven Meister wissen, Geschäftsführer der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft, und Christian Simon, Prokurist bei der Tochtergesellschaft Deutsche Wohnungsgesellschaft (DEWOG), die in den vergangenen Jahren die Stegerwaldsiedlung in Köln umfassend energetisch saniert hat.

Foto: Deutsche Wohnungsgesellschaft
Die Stegerwaldsiedlung im Nordosten von Köln wurde aufwendig energetisch modernisiert.
Foto: Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft
Rouven Meister.

Herr Meister, nutzen Sie bei der energetischen Modernisierung ihrer Wohnungsbestände auch digitale Technologien?
Rouven Meister: Früher hat man einfach die alte Heizung ersetzt. Heute betrachten wir die energetische Modernisierung ganzheitlich. Langfristig können wir die CO2-Verbräuche nur reduzieren, indem wir weniger Wärme und Warmwasser verbrauchen. Eine wichtige Rolle dabei spielen Fenster und die Dämmung von Fassaden, Keller und Dach. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Heizung selbst, denn sie leistet einen großen Beitrag. Deshalb führen wir vor der Modernisierung eine umfassende Bestandsaufnahme durch: Wie alt ist die vorhandene Heizungsanlage, wie hoch sind die Verbräuche? Ist sie möglicherweise überdimensioniert? In den Wohnungen selbst setzen wir digitale Thermostate ein, mit deren Hilfe sich die gewünschte Raumtemperatur zu verschiedenen Tageszeiten programmieren lässt.

Foto: Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft
Christian Simon

Und darüber hinaus?
Christian Simon: In der Stegerwaldsiedlung haben wir mit unserem Partner, der Kölner Rheinenergie, die Sektorenkopplung umgesetzt. Der Strom, den die Photovoltaikanlagen auf den 16 Wohnblöcken produzieren, wird direkt vor Ort verbraucht. Er wird zum Betrieb der Luft-Wärmepumpen für die Heizung und Warmwasser genutzt, den Mietern als Mieterstrom zur Verfügung gestellt und versorgt die E-Ladesäulen. Das, was nicht direkt verbraucht wird, wird vor Ort in Batterien gespeichert. Nur eventuelle Überschüsse vermarkten wir. Das System ist intelligent und berechnet, wann es Sinn macht, den Strom ins Netz der Stadtwerke einzuspeisen. Es merkt sich auch, wann ein Großteil der Menschen duscht, stellt die Vorlauftemperatur der Heizungsanlagen darauf ein und senkt sie danach ab. Wenn die Menschen am Nachmittag von der Arbeit nach Hause kommen, ist die Wohnung wieder angenehm temperiert. Das System berücksichtigt sogar Feiertage und die Wetterprognosen. Die Technik denkt. Das ist ein großer Vorteil der Digitalisierung.

Welche weiteren Vorteile bietet die Digitalisierung für den Klimaschutz?
Christian Simon: Mithilfe der Digitalisierung werden viele Daten gesammelt, die wir den Mieterinnen und Mietern zur Verfügung stellen können, etwa in Form der monatlichen Verbrauchsdaten, wie sie ab 2022 nach der Heizkostenverordnung vorgeschrieben ist. Dadurch haben sie einen besseren Überblick, wo sie mit ihrem Verbrauch liegen und wie sie ihn beeinflussen können.
Rouven Meister: Das Nutzerverhalten hat einen großen Einfluss auf den Verbrauch.
Wenn wir unsere Mieterinnen und Mieter nicht mitnehmen, werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen können. Daher treten wir bereits vor energetischen Modernisierungsmaßnahmen in den Kontakt mit Ihnen und klären auf, wie sie dank intelligenter Lösungen Energie einsparen können, ohne auf den gewohnten Komfort verzichten müssen.
Christian Simon:
Leider hält sich das Interesse an digitalen Lösungen für die Wohnung noch in Grenzen. Wir wollten 50 Smart-Home-Pakete im Wert von 1.000 Euro unter unseren Mieterinnen und Mietern verlosen, aber es haben sich nur wenige gemeldet. Viele fürchten offenbar noch, dass die Technik zu kompliziert sein könnte.

Bitkom hält CO2-Einsparungen in Höhe von 30 Prozent durch digitale Technik für möglich. Für wie realistisch halten Sie diese Zahl?
Christian Simon: Bei unserem Partner Rheinenergie rechnet man eher mit 20 Prozent. Aber es hängt auch davon ab, wie man Digitalisierung definiert. Moderne Heizungen bieten heute viele Einstellmöglichkeiten. Ist das noch Teil der Heiztechnik oder Digitalisierung? Die Übergänge sind fließend.
Rouven Meister: 30 Prozent sind sicher sehr ambitioniert, aber mit der intelligenten Einstellung sind schon viele Einsparungen zu erreichen. In der Stegerwaldsiedlung ist uns der große Wurf gelungen. Dort konnten wir die CO2-Emissionen um 70 Prozent gegenüber dem Stand vor der Modernisierung reduzieren. Dazu haben künstliche Intelligenz und Digitalisierung sicher beigetragen. Klar ist aber auch: Die Digitalisierung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Klimaschutz ist immer mit Kosten verbunden.

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