„Brauchen wir 400.000 neue Wohnungen pro Jahr?“

ca. 8 Minuten Lesezeit

27.01.2022

Mit Klara Geywitz gibt es erstmals seit 1998 wieder eine Bundesbauministerin. Löst das die Wohnungsnot? Und welche Folgen hat der Stopp der BEG-Förderung? Wir haben Ulrich Müller gefragt, Geschäftsführer des Katholischen Siedlungsdienst e. V. (KSD) und damit Vertreter von 45 bauenden Wohnungsunternehmen in Deutschland.

  • Die neue Bundesregierung plant jährlich 400.000 neue Wohnungen, darunter 100.000 neue Sozialwohnungen.
  • Lange Genehmigungsverfahren und der Mangel an Flächen, Baumaterial und Fachkräften behindern Neubauten.
  • Der plötzliche Stopp der BEG-Förderung stellt die geforderte Klimaneutralität bis 2045 infrage.

 

Herr Müller, erstmals seit 23 Jahren gibt es in der neuen Bundesregierung wieder ein eigenes Ministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Ein gutes Signal?


Ulrich Müller: Natürlich haben wir diese Nachricht positiv aufgenommen. Aber ich neige nicht zu überschwänglicher Euphorie. Ein neuer Name am Briefkasten schafft noch kein schlagkräftiges Ministerium. Für mich ist die entscheidende Frage: Was macht das Haus daraus? Frau Geywitz muss jetzt die richtigen Spieler auf den Platz bringen, und dann müssen Taten folgen. Dem sehe ich hoffnungsfroh entgegen.

Ulrich Müller

Geschäftsführender Vorstand Katholischer Siedlungsdienst e. V.

Die Kompetenzen des neuen Ministeriums sind überschaubar.

Foto: KSD
Ulrich Müller ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des KSD.

Welche Erwartungen haben Sie konkret an die neue Ministerin Klara Geywitz?


Ulrich Müller: Ich hoffe, dass sie für unsere Anliegen wirbt. Viel mehr kann sie auch nicht tun, denn die Kompetenzen des neuen Ministeriums sind überschaubar. Die Klimaneutralität des Gebäudebestands liegt beim neuen Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck, das Mietrecht im Justizministerium von Dr. Marco Buschmann. Beim Thema Bauland und Baugenehmigungen sind die Kommunen am Zuge. Und Faktoren wie Baukosten und Fachkräftemangel sind durch die Politik nur begrenzt zu beeinflussen. Aber durch das Ministerium ist hoffentlich eine höhere Sensibilität für diese Themen vorhanden.

Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass in den kommenden Jahren jährlich 400.000 neue Wohnungen entstehen sollen, darunter 100.000 neue Sozialwohnungen. Für wie realistisch halten Sie dieses Ziel angesichts von 306.000 neu errichteten Wohnungen im Jahr 2020?


Ulrich Müller:
Ich halte das für sportlich. Dafür müssen wir noch viele Ampeln auf Grün stellen. Ich werfe auch mal provokant die Frage in den Raum: Brauchen wir wirklich 400.000 neue Wohnungen jährlich? Der brutale Anstieg bei den Mieten flacht gerade deutlich ab.

Was lässt Sie an dem Ziel zweifeln?


Ulrich Müller: Aus meiner Sicht lässt die Regierung zwei Aspekte außer Acht. Erstens: Wir dürfen die Städte nicht noch mehr zubetonieren. Stattdessen sollten wir mehr Hirnschmalz in die Frage investieren, wie wir durch eine bessere Stadt-Land-Politik mehr Leute dazu bewegen, auf dem Land wohnen zu bleiben, etwa durch eine gute Infrastruktur, und dazu zähle ich heute auch schnelle Internetleitungen. Der zweite Punkt: Wir reden alle vom klimaneutralen Gebäudebestand. Bauen ist aber zwingend mit CO2-Ausstoß und Versiegelung verbunden. Deshalb sollten wir lieber schauen, wie wir den vorhandenen Bestand klimaneutral sanieren können, bevor wir neue Wohnungen bauen. Und wir müssen auch über das Thema Flächenverbrauch pro Kopf nachdenken, der in den vergangenen Jahr aufgrund des Trends zur Individualisierung immer weiter gestiegen ist. Sicher wird es ohne Neubau nicht gehen, doch bitte mit Augenmaß und unter Berücksichtigung der Möglichkeiten im Bestand.

Und wie stehen Sie zu dem Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen?


Ulrich Müller: Dieses Ziel ist wichtig und richtig. An dieser Stelle muss man lobend erwähnen, dass sozialer Wohnraum inzwischen sehr komfortabel finanziert ist, seit der Bund wieder die Zuständigkeit dafür übernommen hat – nachdem viele Bundesländer in der Vergangenheit nicht geliefert haben. Ob man diese Sozialwohnungen neu bauen muss oder Belegungsrechte in vorhandenen Wohnungen kauft, ist eine andere Frage.

Ulrich Müller

Wir brauchen eine Willkommenskultur für Bagger.

Welche Hindernisse müsste die Politik denn beseitigen, damit das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen zumindest ansatzweise zu erreichen ist?


Ulrich Müller: Da gibt es einige. Zunächst: Wir haben nicht genügend Bauland. Der Bund hat über das Baugesetzbuch eine gewisse Kompetenz und hat es mit dem Baulandmobilisierungsgesetz versucht. Aber das ist ein Etikettenschwindel. Die Hoheit liegt bei den Kommunen. Wir haben Planungsprozesse, da wird Ihnen schwindelig. In Berlin brauchen Sie für einen Bebauungsplan durchschnittlich zehn Jahre. Gottseidank ist das nicht repräsentativ für Deutschland. Und selbst wenn ich Planungsrecht erhalte, habe ich bei Bauprojekten mindestens so viele Gegner wie Befürworter. Frau Geywitz müsste so etwas wie eine Willkommenskultur für Bagger schaffen. Nächstes Hindernis: Ich brauche jemanden, der bereit ist, mir das Bauland zu überlassen. Da sind wir beim nächsten Punkt: den Kosten. Bauen ist richtig teuer geworden. Teures Bauen heißt aber auch teures Wohnen. Wer soll das noch bezahlen? Und zuletzt stellt sich die Frage: Wer soll die 400.000 Wohnungen bauen? Wir brauchen Leute und wir brauchen Material. Der Fachkräftemangel ist leider nicht nur eine kleine Delle.

Ist das der Grund dafür, dass viele genehmigte Wohnungen nicht gebaut werden?


Ulrich Müller:
Ein Grund dafür ist sicher auch Spekulation. Aber dieser Punkt wird aus meiner Sicht überschätzt. Ich glaube, der größte Hinderungsgrund ist – neben den gestiegenen Materialkosten – tatsächlich, dass die Handwerksbetriebe bis unter das Dach ausgebucht sind. Ich rechne daher damit, dass größere Wohnungsgesellschaften solche Leistungen künftig wieder ins eigene Unternehmen holen.

Ulrich Müller

Durch Digitalisierung lässt sich die Bauzeit verkürzen.

Wie kann man die Bauzeit als solches verkürzen?


Ulrich Müller:
Ich glaube, wir können sogar schon lange vor dem ersten Spatenstich beschleunigen. Dazu müssen wir konsequent digitalisieren, von den ersten Entwürfen über die Antragstellung bis zur Umsetzung. Leider spielt Deutschland bei der Digitalisierung nicht mehr in der Champions League, sondern kämpft eher gegen den Abstieg. Außerdem müssen wir – auch aufgrund des Fachkräftemangels – viele Leistungen von der Baustelle zu den Herstellern verlagern. Bäder werden schon heute zunehmend in Form von Modulen geliefert und eingebaut. Frau Geywitz hat das serielle Bauen ins Spiel gebracht, also Plattenbau 2.0. Wir beim KSD stehen dem Thema Holzbau sehr aufgeschlossen gegenüber: Es bietet den Vorteil, dass wir bei jeder Wetterlage arbeiten können, und ist auch angenehmer für ältere Arbeiter und Arbeiterinnen auf den Baustellen.

Foto: ekh. Werbeagentur GbR • MUC
Holzbauobjekt der Katholischen Siedlungswerk München GmbH in Grafing.

Katholischer Siedlungsdienst

Der KSD Katholische Siedlungsdienst e.V. ist der Dachverband der katholischen und der katholischen Kirche nahestehenden Wohnungs- und Immobilienunternehmen in Deutschland. Zu den Mitgliedern gehören neben den 27 deutschen Bistümern 45 bauende Wohnungsunternehmen. Neben dem Bau und der Bewirtschaftung des eigenen Immobilienbestandes gehören die Bestandsverwaltung für Dritte, das Bauträgergeschäft, die Projektentwicklung und Baubetreuung insbesondere für kirchliche und caritative Einrichtungen zu ihrem Alltag.

Wie ist es bei den Mitgliedern des KSD um die Digitalisierung bestellt?


Ulrich Müller: Da sehen wir ein durchwachsenes Bild. Einige sind richtig weit vorne.
Gerade bei kleineren Gesellschaften ist es noch schwieriger. Viele konzentrieren sich beim Thema Digitalisierung mehr auf die Bewirtschaftung der Immobilien, also Vermietung, Abrechnung etc. und weniger auf die Planung neuer Wohneinheiten. Aber die Notwendigkeit zur Digitalisierung wird von allen deutlich erkannt.

Ulrich Müller

Mit dem Stopp der BEG-Förderungsind die Zielwerte – sowohl im Neubau- als auch im Klimabereich – nur noch Makulatur.

Parallel zum Wohnungsraumbedarf steigen die Anforderungen an den Klimaschutz. Wie lässt sich der Dreiklang – schnell zusätzlichen Wohnraum schaffen, Emissionen verringern, Wohnen bezahlbar machen – lösen?


Ulrich Müller: Das bekommen wir überhaupt nicht hin und ich finde, wir sollten aufhören, uns in die Tasche zu lügen. Klimaschutz kostet Geld! Das ist die Sache wert und wir als KSD haben uns klar zum Ziel der Klimaneutralität bekannt. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch dazu, dass es viele Leute gibt, die sich das nicht leisten können. Ich halte es daher für ausgeschlossen, dass es ohne Förderung funktionieren kann. Auch für diese unangenehme Wahrheit müsste die neue Bauministerin Klara Geywitz in der Republik werben. Und selbst mit Förderung halte ich das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 für unrealistisch. Mit dem nun erfolgten, sehr plötzlichen Stopp der BEG-Förderung (Bundesförderung für effiziente Gebäude) sind die genannten Zielwerte jedoch – sowohl im Neubau- als auch im Klimabereich – nur noch Makulatur, fürchte ich. Und angesichts der Umplanungen möglicherweise auch für das nächste Jahr kaum zu halten.

Und was sind Ihre Wünsche und Erwartungen an die Banken?


Ulrich Müller: Wichtiger als die zweite Stelle hinter dem Komma beim Zins ist für uns Geschwindigkeit, denn im Extremfall haben wir beim Kauf eines Grundstücks nur sehr, sehr wenig Zeit, bevor der Hammer fällt. Deshalb lautet mein erster Appell: Werdet digitaler! Außerdem wünsche ich mir, dass Banken nicht alle Projekte über einen Kamm scheren, sondern mit Augenmaß rangehen. Deshalb lautet mein zweiter Wunsch: Versteckt Euch nicht hinter der Regulatorik! Es gibt schon einen Spielraum – die einen Banken nutzen ihn mehr, die anderen weniger.

Ihr Ansprechpartner bei der Pax-Bank

Das könnte Sie auch interessieren

Digitalisierung: Smart Home für das Klima

Foto: Getty Images/MartinPrescott

Bis 2030 soll der deutsche Gebäudesektor seine CO2-Emissionen um 51 Millionen Tonnen reduzieren. Laut einer neuen Studie des Digitalverbands Bitkom könnten 30 Prozent dieses Reduktionsziels durch Digitalisierung erfolgen. Wie realistisch ist diese Einschätzung?

mehr

"Banken können sich aktiv in den Klimaschutz einbringen"

Territory/Jens Pussel

Klimaschutz und bezahlbare Mieten müssen kein Widerspruch sein, sagt Thomas Hummelsbeck, Geschäftsführer der Düsseldorfer Rheinwohnungsbau.

mehr

KUHL INVESTIERT: Immobilien – Lichtblick in Zeiten von Niedrigzinsen

Foto: Getty Images/baona

Ausgewählte Wohn- und Büroimmobilien bieten trotz Corona eine Alternative zu Anleihen, vorausgesetzt sie haben noch Luft nach oben.

 

mehr