"Wir sehen Interkulturalität als Reichtum"

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21.01.2025

Wie die Wirtschaft sind auch Orden in Deutschland zunehmend auf internationale Mitglieder angewiesen. Die Steyler Missionare haben diesen Wandel längst angenommen. Mit Dr. Peter Claver Narh sitzt der Bruderschaft erstmals ein Geistlicher aus Ghana vor. Im Gespräch zeigt der Provinzial, wie Orden von einem interkulturellen Ansatz profitieren.

  • Die Steyler Missionare feiern in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen und sind seit jeher international ausgerichtet. 
  • Pater Narh ist der erste nicht-deutsche Provinzial am Gründungsort. Der Provinzial berät Institutionen und Unternehmen zum Thema der Interkulturalität.
  • Sprache ist dabei und im Ordensleben ein Schlüssel zu einem funktionierenden Miteinander von Menschen aus verschiedenen Kulturen.

Pater Narh, als Provinzial der Steyler Missionare in Sankt Augustin sitzen Sie einem deutschen Orden vor. Sie sind also quasi als ausländische Führungskraft in einem deutschen Arbeitsumfeld tätig. Was machen Sie dabei für Erfahrungen?

Pater Narh: Natürlich begegne ich als gebürtiger Ghanaer hier manchmal Vorurteilen. Aber meist legt sich das, sobald ich mit den Menschen arbeite. Anfangs waren auch einige skeptisch, als ich gewählt wurde: Der Orden wurde hier gegründet, daher ist diese Provinz – also die Verwaltungseinheit, Deutschland gilt als eine Provinz – sehr wichtig, und bis jetzt waren es in 150 Jahren immer Deutsche, die hier Provinziale wurden.

Es ist natürlich ein Vorteil, wenn man wie Sie exzellentes Deutsch spricht, oder?

Pater Narh: Die Sprache macht viel aus. Sie ist der Schlüssel zu einer Kultur oder Region. Und es gehört zu den Regeln unseres Ordens, dass wir die Sprache der jeweiligen Provinz an gemeinsamen Orten benutzen, etwa bei den Gebeten oder im Speisesaal. Daher sprechen wir hier in Sankt Augustin ganz selbstverständlich Deutsch.

Porträt von Dr. Peter Claver Narh.
Peter Claver Kwame Narh wuchs mit fünf Geschwistern im Südosten Ghanas auf. In seiner Heimat trat er den Steyler Missionaren bei. 2001 kam er nach Deutschland, 2018 promovierte er zum Doktor der Theologie. Seit 2023 ist Narh Provinzial in Sankt Augustin.

Wirtschaftsunternehmen bieten für Fachkräfte aus dem Ausland neben Sprachkursen oft auch Anleitungen zur kulturellen Integration an. Gibt es so etwas auch bei Ihnen?

Pater Narh: Bevor ich Provinzial geworden bin, habe ich bei uns selbst solche Einführungskurse geleitet. Diese Kurse laufen zunächst auf Englisch, weil die meisten Ordensbrüder, die aus dem Ausland zu uns kommen, erstmal kein Deutsch können. Wir laden auch regelmäßig Fachleute ein, bei uns Kurse zu verschiedenen Themen zu geben. Aktuell zum Beispiel besuchen unsere Fratres – also die angehenden Priester – einen Kurs zum Thema "Das gewandelte Verständnis der Frau in Kirche und Gesellschaft als Herausforderung an das Priesterbild". Für neue Mitbrüder aus dem Ausland ist die hier gelebte Gleichberechtigung ja nicht unbedingt selbstverständlich. Außerdem bieten wir einen sogenannten Pastoralkurs an, bevor die Brüder in die Gemeinden in ganz Deutschland gehen, um dort zu arbeiten. Dieser Kurs dauert mindestens ein Jahr und hat zum Thema, was die kirchliche Arbeit in Deutschland beinhaltet und wie sie funktioniert.  Darüber hinaus stellen wir allen neuen Missionaren eine Art Mentor zur Seite, der sie begleitet und an den sie sich immer wenden können, wenn sie Fragen haben.

Wie wählen die Steyler Missionare eigentlich potenzielle Anwärter für den Eintritt in den Orden aus – und speziell für das Ordensleben in Deutschland?

Pater Narh: Zunächst gibt es bei den Steyler Missionaren in allen Ländern eine etwa einjährige Kennenlernphase für jene, die dem Orden beitreten möchten. Dabei wird die Eignung für das Ordensleben ganz allgemein geprüft. Was die Entsendung nach Deutschland betrifft: Früher war es so, dass die Brüder von den Oberen des jeweiligen Herkunftslandes ausgewählt und entsandt wurden. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, wenn sie sich aus der eigenen Motivation heraus melden. Entscheidend ist auch, wie sprachbegabt sie sind – und ob sie bereit sind, eine neue Kultur kennenzulernen und sich darin einzuleben.

ALT-Text: Junge Neumissionare spielen gemeinsam mit Pater Narh Kicker.
Für Neumissionare gibt es eine etwa einjährige Kennenlernphase. Foto: Steyler Missionare

Wie gehen Sie vor Ort in Sankt Augustin mit kulturellen Unterschieden und Eigenheiten unter den Mitbrüdern um?

Pater Narh: Da fällt mir gleich die Trennung von Arbeit und Privatleben ein. Die ist in Deutschland relativ strikt – das ist in anderen Kulturen nicht immer der Fall. Im deutschsprachigen Raum spricht man die Dinge auch viel direkter an, während man in einigen asiatischen und auch afrikanischen Kulturen eher etwas "durch die Blume" sagt. Das begegnet uns auch hier im Alltag, und man muss dann zunächst versuchen zu verstehen, was die Person überhaupt meint. Wir versuchen auch, früh den Kontakt zu Deutschen herzustellen, damit unsere Mitbrüder die Realität im Land erleben. Dafür bieten wir Praktika an, in deren Rahmen die Missionare zwei Wochen bei einer deutschen Familie wohnen. So entstehen oft bleibende Kontakte – ich war zum Beispiel damals bei einer Familie hier in der Nähe, und wir besuchen uns immer noch gegenseitig. Sie waren sogar schon mit mir in Ghana.

Machen Sie als erster nicht-deutscher Provinzial Dinge anders als Ihre Vorgänger – oder sehen Sie sich eher in einer Tradition?

Pater Narh: Es fällt mir schwer, meine eigene Arbeit zu beurteilen. Das dürfen und sollen andere machen. Aber ich kann schon sagen, dass ich ein paar Dinge ein bisschen anders angehe als meine Vorgänger, weil jede Persönlichkeit anders ist. Neben meinem Studium der Pastoralpsychologie in St. Georgen in Frankfurt habe ich Supervision und Beratung an der Uni Bielefeld studiert. Die Dinge, die ich dabei gelernt habe, helfen mir auch bei meiner Arbeit. Mein Anspruch an mich selbst ist, heute besser zu sein, als ich gestern war.

Pater Dr. Peter Claver Narh

Provinzial der Steyler Missionare in Sankt Augustin

Zusammenleben findet nicht in einem Vakuum statt.

Sie sind auch als Berater für Interkulturalität tätig. Wie ist es nach Ihrem Verständnis in Deutschland um die Begegnung und den Austausch zwischen den Kulturen bestellt?

Pater Narh: Ich denke, bei uns hier wäre es erst mal wichtig, dass wir es schaffen, multikulturell zu leben – dass wir einander respektieren und akzeptieren, dass wir die Kulturen der anderen achten. Natürlich spielt die Kultur vor Ort eine wichtige Rolle. Das Zusammenleben findet nicht in einem Vakuum statt.

Wo liegt der Unterschied zwischen Multikulturalität und Interkulturalität?

Pater Narh: Multikulturalität bedeutet ein Nebeneinander, bei dem man unterschiedliche Kulturen akzeptiert und respektiert sowie versucht, sie nicht zu verletzen. Interkulturalität ist mehr ein Miteinander, ein Austausch zwischen den Kulturen. Das ist ein Prozess, und dafür reicht es nicht aus, Menschen aus unterschiedlichen Kulturen unter einem Dach zu versammeln. 

Welche Rolle spielt Interkulturalität im Ordensleben der Steyler Missionare?

Pater Narh: Interkulturalität gehört zur DNA der Steyler Missionare. Unser Orden ist seit jeher international ausgerichtet. In jeder Provinz findet man bei uns Menschen aus unterschiedlichen Ländern. In Deutschland sind wir 220 Mitbrüder aus 17 Nationalitäten, weltweit 6.000 Mitbrüder aus 76 Ländern. Das unterscheidet uns von anderen Ordensgemeinschaften. Wir sehen das als Reichtum, weil jede Kultur etwas Wertvolles einbringt. 

Apropos Reichtum: Reden wir über Geld. Wie erleben Sie diesbezüglich kulturelle Unterschiede innerhalb Ihrer Gemeinschaft?

Pater Narh: Ich wurde mal gefragt, ob ich als Provinzial ein Managergehalt bekomme. Aber ich erhalte das gleiche Verfügungsgeld wie alle Mitbrüder. Wir leben im Orden nach dem Gelübde der Armut. Doch in Notlagen sind wir natürlich für unsere Mitbrüder da. Wenn es zum Beispiel um die Versorgung der Eltern in der Ferne geht, dann kann der Orden unterstützen. So etwas kommt selten vor – aber letztlich lässt sich alles regeln, wenn man miteinander redet.

Die Steyler Missionare

Die Ordensgemeinschaft wurde 1875 von Arnold Janssen in Steyl in den Niederlanden gegründet. Heute sind die Steyler Missionare in über 70 Ländern weltweit tätig. Der Orden setzt sich für die Verkündigung der Botschaft Jesu genauso wie für Gerechtigkeit, Friede, Bewahrung der Schöpfung, Verständigung von Völkern und Kulturen sowie der Befreiung von Armut und Unmenschlichkeit ein. Aktuell feiert der Orden mit vielen Veranstaltungen das Jubiläumsjahr anlässlich des 150-jährigen Bestehens, das am 8. September 2025 endet.

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