HINRICHS HANDELT: Biodiversität dient uns allen

ca. 6 Minuten Lesezeit

15.12.2021

2022 findet in China die UN-Biodiversitätskonferenz statt. Der Artenschutz stand lange im Schatten des Kampfs gegen den Klimawandel. Doch langsam aber sicher wird der Menschheit bewusst, dass das Artensterben auch unser eigenes Überleben gefährdet. Es wird auch Zeit, meint unsere Kolumnistin.

  • In den kommenden Jahrzehnten könnte jede zehnte Tier- und Pflanzenart von der Erde verschwinden.
  • Das Artensterben bedroht auch den Menschen, denn in unserem Ökosystem hängt alles miteinander zusammen.
  • Die nachhaltigen Finanzierungskriterien der Pax-Bank berücksichtigen auch den Schutz der Artenvielfalt.

Kürzlich war in der Wochenzeitung "Die Zeit" ein langer Artikel zu lesen, der sich mit dem Artensterben und seinen Folgen für uns Menschen befasste. "Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schätzen, dass alle zehn Minuten eine andere Art ausstirbt", schreiben die Autoren. "Es handelt sich um eine Apokalypse: Am Ende des Prozesses könnte eine Welt stehen, auf der für Menschen kein gutes Leben mehr möglich ist." Die Überschrift des Artikels lautete "Unser Aussterben". Zu drastisch? Ich fürchte, nicht.

Droht den Menschen das Schicksal der Dinosaurier?

Ähnlich äußerte sich bereits vor zwei Jahren der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht, Direktor des Centrums für Naturkunde an der Universität Hamburg und Autor des Spiegel-Bestsellers "Das Ende der Evolution". "Lange wurde das Ausmaß des Artensterbens unterschätzt, doch seit einigen Jahren weisen alle Forschungsergebnisse in dieselbe Richtung", kommentierte der Wissenschaftler 2019 den Bericht der "Zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen" (IPBES), des Biodiversitätsrats der Vereinten Nationen.


Glaubrecht befürchtet, dass der heutige Verlust von Biodiversität ähnliche Ausmaße annehmen könne wir das Massensterben vor 66 Millionen Jahren, als mit den Dinosauriern 85 Prozent aller damals lebenden Arten von der Erde verschwanden. "Wenn in den kommenden Jahrzehnten jede zehnte der heute schätzungsweise sieben Millionen Tierarten und einer Million Pflanzenarten auf der Erde verschwindet, hat das unvorhersehbare Konsequenzen. Bestehende Ökosysteme werden grundlegend gestört, Nahrungsnetze brechen zusammen. Letztlich", so warnt Glaubrecht, "bedroht das auch die Existenz des Menschen."

Jutta Hinrichs

Stabsstelle Ethik & Nachhaltigkeit der Pax-Bank

Beim Schutz der Biodiversität geht es um das Netz des Lebens, in das auch der Mensch eingewoben ist.

Alles hängt mit allem zusammen

Droht der Menschheit tatsächlich ein Massenaussterben wie zuletzt den Dinosauriern vor 66 Millionen Jahren? Vielleicht wird es nicht ganz so dramatisch. Aber vielleicht brauchen wir auch so dramatische Vergleiche, um uns bewusst zu machen, dass es beim Thema Artenschutz und Biodiversität um mehr geht als um den Erhalt einer vielfältigen Flora und Fauna aus rein altruistischen Motiven. Beim Schutz der Biodiversität geht es "um das Netz des Lebens, in das auch der Mensch eingewoben ist", wie die Autoren des Zeit-Artikels schreiben. Denn: "Alles hängt mit allem zusammen", erkannte schon der große Naturforscher Alexander von Humboldt vor mehr als 200 Jahren.

Bereits 1992 unterzeichneten bei der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 192 Mitgliedsstaaten die UN-Biodiversitätskonvention – jenem Erdgipfel, bei dem auch die Klimarahmenkonvention zum Abbremsen des Klimawandels verhandelt wurde. Doch während die Notwendigkeit für den Klimaschutz knapp 30 Jahre später endlich im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit angekommen ist, führt "das Jahrhundertthema Artensterben noch immer eine Randexistenz in der Öffentlichkeit und erst recht in der Politik", meinen die Autoren in der Zeit. Oder war Ihnen bewusst, dass 2020 die UN-Dekade für Biodiversität endete und das Sekretariat des Weltbiodiversitätsrats IPBES seinen Sitz in Bonn hat?

Jutta Hinrichs

Die Volkswirtin verantwortet seit 2018 die Stabsstelle Ethik & Nachhaltigkeit der Pax-Bank. In dieser Funktion koordiniert sie alle Themen der Bank, die mit Ethik und Nachhaltigkeit zu tun haben. So ist sie unter anderem verantwortlich für die Erstellung der jährlichen Klimabilanz. Ein wichtiges Anliegen ist ihr das Thema ethisch-nachhaltiges Investment, das Wirtschaft und Ethik kombiniert und seit über 100 Jahren zur DNA der Pax-Bank gehört. Hinrichs hat VWL in Frankfurt und Bonn studiert und arbeitete danach unter anderem für den Bundestagsabgeordneten Gunnar Uldall, die Konrad-Adenauer-Stiftung sowie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Hier schreibt die Mutter von zwei Kindern alle zwei Monate über neue Aktivitäten der Pax-Bank aus dem Bereich Ethik und Nachhaltigkeit.

Es wird Zeit aufzuwachen

Langsam aber sicher reift die Erkenntnis, dass Biodiversität mindestens genauso wichtig ist wie der Klimaschutz. Alles hängt mit allem zusammen: Der Klimawandel bedroht Pflanzen und Tiere, und mit dem Eindringen des Menschen in die Lebensräume der Tier steigt das Risiko, dass diese Krankheiten auf uns übertragen, wie wir es aktuell schmerzlich in Form der Corona-Pandemie erleben. Auch vor dem Hintergrund der COVID-19-Krise hat die EU im vergangenen Jahr ihre Biodiversitätsstrategie 2030 veröffentlicht. Ihr Ziel ist, die Schädigung der Ökosysteme rückgängig zu machen und auf diese Weise auch die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften gegenüber künftigen Bedrohungen wie den Folgen des Klimawandels und Seuchen zu stärken. Auch die katholische Kirche hat den Artenschutz mittlerweile auf ihrer Agenda, wie etwa das Erzbistum Köln im Rahmen seiner Initiativen zur Schöpfungsverantwortung.

Artenschutz dank nachhaltiger Finanzierung

Ein wichtiges Instrument ist wie beim Klimawandel die nachhaltige Finanzierung. In der Taxonomie, in der die EU Vorgaben für ökologisch nachhaltige Investitionen macht, taucht die Biodiversität deshalb als eines der sechs Umweltziele auf. Das bedeutet, bei der Finanzierung von Wirtschaftsaktivitäten müssen auch die Auswirkungen auf die Artenvielfalt berücksichtigt werden. Dazu soll die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung ausarbeiten.

Wie stark das Thema Biodiversität inzwischen im Bewusstsein der Menschheit angekommen ist, wird sich im kommenden Frühjahr zeigen: Dann findet im chinesischen Kunming die nächste UN-Biodiversitätskonferenz statt, um neue Ziele für 2030 zu definieren. Auch in den Entwürfen für diese Konferenz wird die nachhaltige Finanzierung als wesentliches Instrument genannt, um diese Ziele zu erreichen. So sollen in Zukunft jährlich mindestens 200 Milliarden US-Dollar in den Schutz der Biodiversität fließen. Das ist eine große Summe. Doch angesichts der gewaltigen Aufgabe, die vor uns liegt, brauchen wir alle Anstrengungen.

Unternehmen sollten ihre Möglichkeiten nutzen

Die Pax-Bank unterstützt diese Bestrebungen schon seit längerem. So ist die mangelnde Berücksichtigung von Biodiversität eines unserer Ausschlusskriterien bei der Finanzierung oder im Vermögensmanagement. Außerdem sehen wir gerade bei Institutionellen Kunden mit großen Freiflächen Potenzial zur Steigerung von Biodiversität, etwa in Form von Bienenstöcke oder Wildblumenwiesen, und ermuntern sie in Gesprächen dazu, dieses Potenzial zu nutzen. Alles hängt mit allem zusammen – das bedeutet auch, dass jeder von uns einen Beitrag zum Artenschutz leisten kann. Warum nehmen wir uns das nicht für das neue Jahr vor? Das Aussterben von Pflanzen, Tieren und letztlich Menschen zu verhindern: Das wäre doch mal ein ambitionierter guter Vorsatz.

Ihr Ansprechpartner bei der Pax-Bank

Jutta Hinrichs Stabsstelle Ethik & Nachhaltigkeit

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