HINRICHS HANDELT: Wer E sagt, muss auch S sagen

Lesezeit: ca. 5 Minuten

02.11.2021

Mit Kriterien für nachhaltige Geldanlagen treibt die EU die grüne Transformation voran. Jetzt hat sie auch Ansätze entwickelt, die die soziale Gerechtigkeit in den Fokus nimmt. Richtig so, meint unsere Kolumnistin. Denn diese darf nicht auf der Strecke bleiben!

  • Neben die ökologische Taxonomie soll eine soziale Taxonomie treten.
  • Die soziale Taxonomie bewertet die Aktivitäten eines Unternehmens anhand sozialer Kriterien.
  • Aber: Soziale Nachhaltigkeit lässt sich schwer messen.

Die Diskussion um "sustainable finance" ist aktuell das dominante Thema am Kapitalmarkt. Alles dreht sich um Transparenz, Standards und Klassifizierung von Produkten. Im Zentrum steht dabei die Taxonomie. Hinter diesem wenig eingängigen Begriff versteckt sich eine Verordnung der Europäischen Union aus dem vergangenen Jahr, in dem sie Vorgaben für ökologisch nachhaltige Investitionen macht.

Im ersten Schritt konzentriert sich die Taxonomie stark auf das Ziel der "green transition", also den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft. In einem weiteren Schritt soll diese Klima-Taxonomie erweitert werden um eine soziale Taxonomie.

Wie die grüne Wende sozial gerecht gelingt

Wie gut, dass beim Blick über den grünen Tellerrand zunehmend auch die soziale Seite der anstehenden Transformation in den Fokus rückt. Also neben der "green transition" nun auch die "just transition" (gerechter Übergang). Während die grüne Taxonomie Kriterien für klimaverträgliche Investitionen und Wirtschaftsaktivitäten von Unternehmen vorgibt, hat die soziale Taxonomie zum Ziel, Finanzinvestitionen zusätzlich daran auszurichten, welchen Beitrag Unternehmen zugunsten sozialer Ziele leisten.

Die soziale Taxonomie schließt damit eine Lücke in der bisherigen Regulierung von Finanzinvestitionen. Wir von der Pax-Bank begrüßen diesen Ansatz und sehen darin – bei aller Dringlichkeit der Klima- und Umweltthemen – eine Chance, dass E, S und G-Aspekte (Environmental, Social, Governance) wieder gleichwertig nebeneinanderstehen.

Jutta Hinrichs

Jutta Hinrichs

Die Volkswirtin verantwortet seit 2018 die Stabsstelle Ethik & Nachhaltigkeit der Pax-Bank. In dieser Funktion koordiniert sie alle Themen der Bank, die mit Ethik und Nachhaltigkeit zu tun haben. So ist sie unter anderem verantwortlich für die Erstellung der jährlichen Klimabilanz. Ein wichtiges Anliegen ist ihr das Thema ethisch-nachhaltiges Investment, das Wirtschaft und Ethik kombiniert und seit über 100 Jahren zur DNA der Pax-Bank gehört. Hinrichs hat VWL in Frankfurt und Bonn studiert und arbeitete danach unter anderem für den Bundestagsabgeordneten Gunnar Uldall, die Konrad-Adenauer-Stiftung sowie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Hier schreibt die Mutter von zwei Kindern alle zwei Monate über neue Aktivitäten der Pax-Bank aus dem Bereich Ethik und Nachhaltigkeit.

Was ist sozial gerecht und was nicht?

Die Unterarbeitsgruppe 4 "Social Taxonomy" der "EU-Platform on Sustainable Finance" hatte im Juni ein erstes Grobkonzept zur Diskussion gestellt und zentrale Unterschiede zwischen der sozialen und der ökologischen Taxonomie herausgearbeitet. Vereinfacht ausgedrückt lassen sie sich wie folgt zusammenfassen:

  • Ökologie lässt sich messen, Soziales basiert auf Normen.
  • Ökologie konkretisiert sich in einzelnen Wirtschaftsaktivitäten eines Unternehmens, bei Sozialthemen sind der ganzheitliche Blick auf das Unternehmen mit allen seinen Prozessen entscheidend und die Frage, ob die Produkte bzw. Dienstleistungen einen Mehrwert für die Gesellschaft leisten.


Ökologisch ausgerichtete Aktivitäten minimieren die negativen Auswirkungen auf die Natur; soziale Prozesse sowie Produkte oder Dienstleistungen schaffen einen zusätzlichen sozialen Nutzen. Dieser lässt sich in zwei Dimensionen messen: Umgang des Unternehmens mit sozialen Themen im direkten Umfeld (Sicherstellung menschenwürdiger Arbeit, Stärkung von Verbraucherinteressen) und Auswirkung auf die menschlichen Grundbedürfnisse (Essen, Wohnen, Gesundheit, Bildung, Wasser).

Ein konkretes Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, beide Dimensionen zu berücksichtigen: Würde ein Hersteller von Wasseraufbereitungsanlagen die Arbeitsrechte nicht beachten, dann würde er mit seinem Produkt zwar einen positiven Beitrag leisten, doch unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung menschenwürdiger Arbeit wäre das Vorgehen problematisch. Transparenz durch die Regulatorik würde sicher einen gewissen Druck auf das Unternehmen zur Verbesserung seiner Prozesse aufbauen.

Ein "Maßstab" für soziale Gerechtigkeit

Normbasiert, ganzheitlich, Mehrwert für die Gesellschaft, Abdeckung von Grundbedürfnissen – klingt alles prima. Doch wie lässt sich soziale Gerechtigkeit messen? Ein neuer Messansatz muss her, um auch im Bereich Soziales zu messen, was eigentlich nicht zu messen ist. Die soziale Taxonomie böte erstmals einen Katalog an objektiven Kriterien, denn sie überprüft die Verfügbarkeit, die Zugänglichkeit sowie den zusätzlichen qualitativen Nutzen der Produkte bzw. Dienstleistungen. Und sie stellt außerdem zur Bedingung, dass mit dem Produkt kein anderes soziales Ziel beeinträchtigt wird.

Als zweite Säule neben der Umwelttaxonomie erfüllt die soziale Taxonomie eine weitere wichtige Funktion: Ohne ein soziales Kriterienset bleibt die soziale Seite der Unternehmen "unterbelichtet". Das wiederum birgt die Gefahr, dass sich Investoren nur an ökologischen Kriterien ausrichten und damit weniger Kapital in soziale Anliegen und Projekte fließt. Und das nur deshalb, weil Unternehmen mit guten sozialen Produkten und guten Prozessen mangels eines Bewertungssystems nicht als nachhaltig wahrgenommen werden. Das große Ziel der Taxonomie ist also, Investitionen in nachhaltig nützliche Unternehmen anzustoßen.

Ökologische und soziale Ziele vereinbaren

Soweit, so gut. Eine große politische Hürde liegt in der Suche nach einem Ansatz, wie sich soziale und ökologische Taxonomie miteinander verbinden lassen. Darum wird aktuell noch auf EU-Ebene gerungen. Entscheidend ist, dass die jeweiligen sozialen und ökologischen Mindeststandards in einer Balance sind.

Jutta Hinrichs

Stabsstelle Ethik & Nachhaltigkeit der Pax-Bank

Es wäre ein verheerendes Signal, wenn aufgrund von machtpolitischen Interessenspiele die soziale Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt.

Aufgrund der aktuellen Diskussionen um die grüne Taxonomie bleibt es auf jeden Fall spannend, die weitere Entwicklung auf EU-Ebene zu beobachten. Denn im allerletzten Schritt wird die EU-Kommission entscheiden, ob es überhaupt eine soziale Taxonomie geben wird.  Aus Sicht der Pax-Bank und vieler weiterer nachhaltiger Akteurinnen und Akteure wäre es ein verheerendes Signal an die Märkte, wenn aufgrund machtpolitischer Interessenspiele bei dem Projekt "sustainable finance" künftig die soziale Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Da sind die Anlagefilter nachhaltiger Banken heute schon weiter als jegliche Diskussion auf EU-Ebene.

 

Ihre Ansprechpartnerin bei der Pax-Bank

Jutta Hinrichs Stabsstelle Ethik & Nachhaltigkeit

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