Kirchliches Arbeitsrecht: "Unkultur der Angst beenden"

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22.06.2022

Diskussionsstoff in der katholischen Kirche: Die Reform des Arbeitsrechts sei längst überfällig, sagen Klaus Pfeffer, Bischöflicher Generalvikar des Bistums Essen, und Michael Kreuzfelder, Direktor des Caritasverbandes Oberhausen. Im Interview erklären sie, was die vorgeschlagene Neufassung der Grundordnung auszeichnet.

  • Eine bischöfliche Arbeitsgruppe entwirft eine neue Grundordnung des kirchlichen Dienstes.
  • Ehescheidung, Lebenspartnerschaft oder Homosexualität sind in der vorgeschlagenen Neufassung keine Kündigungsgründe mehr.
  • Die Änderung bedeutet einen Paradigmenwechsel: von der Ausgrenzung zur christlichen Kulturzusage.

Herr Generalvikar Pfeffer, warum ist die Grundordnung des kirchlichen Arbeitsrechts in der katholischen Kirche neu formuliert worden?


Generalvikar Klaus Pfeffer: Es hatte bei der letzten Reform im Jahr 2015 nur eine Kompromisslösung hinsichtlich der sogenannten "Loyalitätätsobliegenheiten" gegeben, weil sich die Bischöfe in bestimmten Fragen nicht einig wurden. Die Bischofskonferenz hatte damals aber vereinbart, dass es nach fünf Jahren eine Überprüfung geben sollte. Zwei Arbeitsgruppen der Bischofskonferenz haben sich damit schon seit längerer Zeit beschäftigt. Währenddessen verschärfte sich die innerkirchliche und öffentliche Diskussion zu den Loyalitätsobliegenheiten. Im Bistum Essen haben wir schon seit mehreren Jahren davon abgesehen, Mitarbeitende zu sanktionieren, weil sie beispielsweise nach einer Ehescheidung wieder heirateten. Die Initiative "OutInChurch" machte auf die Nöte der queeren Menschen im kirchlichen Dienst aufmerksam, die sich diskriminiert und unter Druck gesetzt fühlen. Gemeinsam mit einigen anderen Bistümern haben wir inzwischen so etwas wie ein "Moratorium" ausgerufen, indem wir die Loyalitätsobliegenheiten nicht mehr anwenden, die sich auf das private Beziehungsleben und die sexuelle Orientierung oder Identität beziehen. Inzwischen liegt nun auch ein Entwurf für eine neue Grundordnung vor, die diese Richtung bestätigt.

Michael Kreuzfelder

Caritasdirektor Oberhausen

Bisher war kirchliches Arbeitsrecht voller roter Linien. Es war höchste Zeit, zu einer Kultur der grünen Linie zu kommen.

Was unterscheidet diesen Entwurf von der bisherigen Grundordnung?


Michael Kreuzfelder: Es ist ein Paradigmenwechsel. Bisher war kirchliches Arbeitsrecht voller roter Linien: Wenn du bei uns arbeitest, sind Homosexualität und Scheidung ein Problem. Es war höchste Zeit, zu einer Kultur der grünen Linie zu kommen: Wenn du bei uns arbeitest, dann können wir dir versprechen, dass das Privatleben keine Rolle spielt, dass wir in persönlichen Krisensituationen helfen und Fremdenfeindlichkeit bei uns keinen Platz hat. Wir als Caritas haben schon vor der Veröffentlichung des neuen Entwurfs zehn solcher Zusagen an unsere Mitarbeitenden formuliert.

Generalvikar Klaus Pfeffer: Der bisherige Ansatz war, dass man sehr auf den einzelnen Menschen schaute. Entspricht er oder sie den Vorstellungen eines moralisch einwandfreien Lebens nach der offiziellen katholischen Lehre? Meist ging es darum, ob jemand in einer kirchlich gültigen Ehe lebt. Unverheiratet zusammenleben, Wiederheirat nach Ehescheidung oder gar eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft waren "No Gos". Diese sehr intimen Fragen standen im Mittelpunkt – alles andere fiel unter den Tisch. In unserer Kirche herrschte deshalb eine "Unkultur der Angst". Das wird mit dem neuen Entwurf beendet. Das Privatleben wird künftig geschützt. Stattdessen geht es eher um Fragen, welche Werte denn im Blick auf das Profil der jeweiligen Einrichtung gelebt werden sollen und welche Qualitäten Mitarbeitende dafür mitbringen müssen.

Foto: Nicole Cronauge | Bistum Essen
Klaus Pfeffer, Generalvikar des Bistums Essen.
Foto: Caritas Oberhausen/Rudolf Maifeld
Michael Kreuzfelder, Caritasdirektor Oberhausen

Was verspricht sich die katholische Kirche von diesen Änderungen? Spielt auch die Personalknappheit dabei eine Rolle?


Generalvikar Klaus Pfeffer: Ja, natürlich schwingt das auch mit. Aber viel wichtiger ist, einen Zustand zu beenden, der Menschen im Dienst der Kirche ständig in großer Angst leben lässt. Wir haben schon viel zu lange ein System, das nicht hinterfragt wurde. Es hat nachweislich viel Leid verursacht. Dies wird nun endlich von der großen Mehrheit der Verantwortlichen in unserer Kirche erkannt und mit der neuen Grundordnung hoffentlich überwunden. Jetzt ist es aber eine Herausforderung für alle kirchlichen Dienstgeber, für die Zukunft genauer zu beschreiben, welche christlichen Werte denn auf welche Weise in ihrer jeweiligen Einrichtung gelebt werden sollen. Das ist eine Frage, über die wir uns in der Vergangenheit zu wenig Gedanken gemacht haben.

Michael Kreuzfelder: Für uns als Caritas ist es auch relevant, dass wir uns mit unserer offenen Haltung nicht mehr verstecken müssen. Es gab im Vorfeld der Neufassung unserer arbeitsrechtlichen Grundordnung Werbekampagnen, die offen thematisiert haben, dass auch Muslima bei der Caritas arbeiten können. Das stand immer ein bisschen auf tönernen Füßen, weil man natürlich immer noch Sanktionen fürchten musste. Es ist entscheidend für das künftige Gewinnen von Fachkräften, dass wir guten Gewissens sagen können: Wir sind ein sehr guter Arbeitgeber. Und wir werfen jetzt endlich etwas über Bord, was schon länger bei uns de facto keine Rolle mehr gespielt hat.

Die umstrittenen Loyalitätsobliegenheiten

In Artikel 5 der alten Grundordnung des kirchlichen Arbeitsrechts "Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten" steht unter anderem:
"(2) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Verstöße gegen die Loyalitätsobliegenheiten im Sinn des Art. 4 als schwerwiegend an: …
1b) schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen, die nach den konkreten Umständen objektiv geeignet sind, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen, …
2c) den kirchenrechtlich unzulässigen Abschluss einer Zivilehe, wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen; eine solche Eignung wird bei pastoral oder katechetisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, unwiderlegbar vermutet,
d) das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft; bei diesem Loyalitätsverstoß findet Ziff. 2c) entsprechende Anwendung."

Nach der neuen Grundordnung kann dann auch Homosexualität kein Kündigungsgrund mehr sein. Wie schützen Sie Ihre homosexuellen Mitarbeiter vor Vorurteilen, falschen Verdächtigungen und Diskriminierung?


Generalvikar Klaus Pfeffer: Jeder kirchliche Dienstgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass es in den Einrichtungen keinerlei Beeinträchtigung oder Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Identität gibt. Dazu gehört auch, unmissverständlich klarzustellen, dass es keinerlei Zusammenhang gibt zwischen Homosexualität und sexuellem Missbrauch. Wo hier entsprechende Verdächtigungen oder Vorurteile geschürt werden, muss in aller Schärfe widersprochen werden. Wissenschaftliche Studien wie insbesondere die MHG-Untersuchung zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche stellen zwar fest, dass es in vergangenen Jahrzehnten einen hohen Anteil von homosexuell orientierten Missbrauchstaten in der katholischen Kirche gab. Aber sie weisen ausdrücklich die Annahme zurück, die in manchen konservativen Kreisen immer wieder verbreitet wird, dass Homosexualität an sich eine Ursache für sexuellen Missbrauch sei – das ist absurd. Kurzum: In der katholischen Kirche darf es gegenüber Menschen mit homosexueller Orientierung, binärer oder transidenter Identität keinerlei Raum für jegliche Form von Diskriminierung und Ausgrenzung geben. Der christliche Wert der unbedingten Menschenfreundlichkeit Gottes steht im kirchlichen Dienst an erster Stelle; und deshalb ist die Würde eines jeden Menschen zu schützen.

Sind die Werte der katholischen Kirche irgendwo definiert?


Generalvikar Klaus Pfeffer: Die Werte der Kirche gründen im Evangelium und in unterschiedlichen Traditionen, die sich daraus entwickelt haben. Für kirchliche Einrichtungen gilt es aber, die meist sehr grundsätzlich formulierten Werte in den konkreten Arbeitsalltag zu übersetzen. Genau das wird jetzt eine spannende Aufgabe: Wie zeigt sich das konkrete christliches Profil einer Altenpflegeeinrichtung, eines Krankenhauses, einer Kindertagesstätte? Was ist bei uns anders? Wie gehen wir miteinander um? Was wollen wir den Menschen vermitteln, die zu uns kommen? Wo unterscheiden wir uns vielleicht auch von Einrichtungen anderer Träger? Alle Dienstgeber sind aufgefordert, mit den Führungskräften sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darüber ins Gespräch zu kommen, woran unser christlicher Anspruch erkennbar sein soll. Ich finde die Auseinandersetzung darüber sehr wichtig.

Wann könnte die neue Grundordnung in Kraft treten?


Michael Kreuzfelder: Der Entwurf wird zurzeit in der kirchlichen Landschaft diskutiert. Bei uns in der Caritas gibt es eine breite Debatte darüber. Wir werden uns offiziell im Juli dazu positionieren. Im Verband gibt es schon noch einige Diskussionspunkte, etwa wie wir künftig mit Mitarbeitenden umgehen, die aus der Kirche austreten.

Generalvikar Klaus Pfeffer: Die Bischofskonferenz hat den Entwurf einer Reihe von Gremien auf Bundesebene zukommen lassen und um Stellungnahmen gebeten. Zugleich läuft in allen Bistümern derzeit ein umfangreicher Beratungsprozess. Das ist für die katholische Kirche ein ganz neues Verfahren: Die Bischöfe lassen die neue Grundordnung und auch die Erläuterungen dazu öffentlich diskutieren und fordern dazu auf, kritische Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge einzureichen. Das ist ein ziemlich aufwendiges Verfahren – mit dem Ziel, noch in diesem Jahr zu einer Entscheidung zu kommen.

Michael Kreuzfelder: Unser großer Wunsch als größter kirchlicher Arbeitgeber wäre, dass es ein Ja von den Bischöfen zu dieser grundsätzlichen Reform gibt, insbesondere in Bezug auf die Themen privater Lebensführung. Von den 790.000 Beschäftigten in der katholischen Kirche arbeiten fast 700.000 in der Caritas. Und unsere zehn Zusagen, die wir als Dienstgeber gemacht haben, signalisieren schon jetzt: Dahinter wollen wir als Caritas nicht mehr zurück! Wir hoffen, dass der offene Diskurs dazu führt, dass die neue Grundordnung am Ende von einer sehr breiten Basis getragen wird.

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