"Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger"

Lesezeit: ca. 10 Minuten

27.10.2020

Wie wirkt sich die Corona-Krise mittel- und langfristig auf die Immobilienmärkte aus? Darüber spricht Christian Hartmann, Direktor der Pax-Bank Filiale Berlin, mit Ulrich Müller. Im Gespräch verrät der Geschäftsführer des Katholischen Siedlungsdienstes e.V., welche positiven Effekte Covid-19 auf die Branche hat und warum Hühnerstall-Großraumbüros keine Zukunft haben.

  • Die Auswirkungen auf die Immobilienmärkte sind sehr unterschiedlich.
  • Corona hat auch neue Wege im Vertrieb geöffnet.
  • Banken haben ein Interesse daran, an Finanzierungszusagen trotz Verschiebung festzuhalten.
  • Wichtig ist eine frühzeitige Kontaktaufnahme, wenn es zu Problemen kommt.

Herr Müller, welche Folgen hat die Corona-Krise bislang für die Immobilienwirtschaft?

Ulrich Müller: Das ist eine extrem schwierige Frage. Bei Mieteinbußen müssen wir differenzieren, über welche Immobilienmärkte wir reden. Wohnimmobilien sind sicherlich anders betroffen als Gewerbeimmobilien. Auch dort gibt es eine Ausdifferenzierung in Gewinner und Verlierer. Logistikunternehmen sollten sie in den meisten Fällen recht unbeschadet überstanden haben oder sogar gestärkt daraus hervorgehen. Bei Hotel, Gastronomie und Einzelhandel ist sicher mit enormen Einnahmeausfällen zu rechnen. Beim Einzelhandel bin ich sogar doppelt skeptisch, weil ich glaube, dass Corona nur ein Brandbeschleuniger für einen ohnehin anstehenden Strukturwandel ist. Anders sieht es im Bürobereich aus: Ich denke, in bestehenden Mietverträgen sollte sich der Einnahmeausfall erst einmal in Grenzen halten. Probleme wird es wohl nur dort geben, wo die Bürotätigkeit eng mit einer persönlichen Dienstleistung verbunden ist und diese digital abzubilden war. Mich treibt in diesem Zusammenhang allerdings eine andere Frage um: Wie geht denn die Bank mit fehlenden Mieteinnahmen um? Denn natürlich können dadurch auch schnell mal Finanzierungen in Schieflage geraten.

Christian Hartmann: Wir halten sehr engen Kontakt zu unseren Kunden, gerade in dieser Branche, und erfragen deren aktuelle Entwicklungen und Erwartungen. Daraus leiten wir ab, inwieweit wir für uns gegebenenfalls Maßnahmen zur Risikovorsorge treffen müssen. Allerdings geben die uns bislang vorliegenden Daten noch keinen Grund zur großen Besorgnis. Wir müssen allerdings die langfristigen Folgen insbesondere im gewerblichen Bereich noch abwarten.  

Katholischer Siedlungsdienst

Ulrich Müller ist geschäftsführender Vorstand des Katholischen Siedlungsdienstes e. V. (KSD) in Berlin. Der KSD bildet den Dachverband aller mit Wohnungswesen und Städtebau befassten Unternehmen der katholischen Kirche, dem unter anderem die aktuell 45 katholischen bzw. kirchlich orientierten Wohnungsbauunternehmen in Deutschland angehören. Auch die 27 deutschen (Erz-)Bistümer sind Mitglieder im KSD, ebenso die Caritas. Die Pax-Bank arbeitet mit dem KSD und den einzelnen Siedlungswerken zusammen. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt in den traditionell katholischen Gebieten im Süden und Westen der Republik.

Im Stadtteil Reudnitz im Südosten von Leipzig begleitet die Pax-Bank aktuell das Projekt "Campus Lorenzo“. Auf rund 12.000 m² Fläche wächst bis 2021 ein modernes Sozial-Quartier. Neben einem Berufsschulzentrum für Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen mit angeschlossenem Schülerwohnheim und einer Kita entstehen auch Wohnungen, die den Bedürfnissen von Menschen in den verschiedensten Lebensphasen gerecht werden, Geschäfte sowie ein Café.

Ulrich Müller, Geschäftsführender Vorstand des KSD

Wie sieht es mit den Wohnimmobilien aus?

Müller: Die Wohnungswirtschaft hat sich bis dato als weitgehend immun gegen das Virus erwiesen. Wir haben aktuell wenig Mietausfälle zu verzeichnen. Das ist sicherlich auch dem guten sozialen Sicherungssystem in Deutschland geschuldet. Für uns stellt sich die entscheidende Frage: Was passiert, wenn die Schonregelungen zur Insolvenzanmeldung auslaufen? Dann könnte die Stunde der Wahrheit schlagen. Denn wenn Einkommen wegbrechen, wird sich das über kurz oder lang natürlich in den Mieteinnahmen niederschlagen – auch wenn wir erfahrungsgemäß wissen, dass die Miete einer der letzten Punkte ist, an dem die Leute sparen. Insofern sind wir noch recht entspannt und haben vergleichsweise wenige Ausfälle gehabt. Das sollte gleichermaßen für die Wohnimmobilien aus dem Sozialbereich gelten, sprich Alten- und Pflegeheime.

Wie haben sich die Bautätigkeit und die Projektentwicklung in den letzten Monaten entwickelt?

Müller: Der Bau war weitgehend unberührt. Zu Beginn der Krise hat es bei einigen bestehenden Baustellen eine kurze Unterbrechung gegeben. Problematischer sieht es bei den Projekten aus, bei denen wir uns noch in der Planungs- oder Genehmigungsphase befinden. Physische Treffen konnten vorübergehend kaum stattfinden und Genehmigungsbehörden waren für den Publikumsverkehr geschlossen. Leider sind Bebauungsplanverfahren und Genehmigungsverfahren noch nicht so richtig in der digitalen Welt angekommen. Das wäre auch eine Manöverkritik für die Politik. Wir werden sicherlich das digitale Bauplanverfahren zum Normalfall erklären müssen. Bei Projektentwicklungen wissen wir noch nicht genau, welche Folgen das haben wird. Greift bei Corona die oftmals verwendete Klausel der höheren Gewalt in den Verträgen? Welche Auswirkung haben Verzögerungen auf die Finanzierung? Solche Projektfinanzierungen sind oft auf Kante genäht. Da kann ein Verzug von drei oder sechs Monaten dem einen oder anderen Projektentwickler schnell das Genick brechen, wenn die Banken sich nicht entsprechend flexibel zeigen.


Hartmann: Das kommt natürlich ganz auf den Einzelfall an. Grundsätzlich liegt es ja auch im Interesse der Bank, an einer einmal zugesagten Projektfinanzierung auch bei einer Verschiebung des Projekts festzuhalten. Deshalb ist es für uns ganz wichtig, dass eine enge und vor allem rechtzeitige Abstimmung zwischen Bank und Bauträger stattfindet. Dann wird man sicherlich auch Lösungen finden – zum Beispiel eine Zwischenfinanzierung oder eine Verlängerung der zugesagten Finanzierung.

Wie hat sich die Nachfrage nach neuen Eigentumswohnung verändert?

Müller: Wir haben ganz zu Beginn eine gewisse Unsicherheit verspürt. In wenigen Fällen gab es den Wunsch, Abschlüsse zu verschieben oder im Einzelfall auch rückgängig zu machen. Aber da reden wir wirklich nur über Einzelfälle. Eine Stornierung im größeren Ausmaß hat bei uns nicht stattgefunden. Ganz im Gegenteil: Gerade in letzter Zeit scheint der Wunsch zuzunehmen, statt in eine Eigentumswohnung ins eigene Haus einzuziehen.

Seit Jahren wird beklagt, dass es in Deutschland zu wenig sozialen Wohnraum gibt – insbesondere in den Ballungszentren. Wie wirkt sich Corona auf den sozialen Wohnungsbau aus – auf der Nachfrage- und der Anbieterseite?

Müller: Auf Anbieterseite wird es hier sicher nur zu Konsequenzen bei der Umsetzung kommen: Projekte könnten sich wegen der Pandemie in der Planungs- und Genehmigungsphase eventuell verzögern. Hier gilt das Gleiche, was ich vorhin in Bezug auf Planungs- und Genehmigungsverfahren bereits ansprach. Für die Nachfrageseite ist es momentan noch zu früh, hier die Auswirkungen tatsächlich abzuschätzen. Wie gesagt, wir haben sehr gute, funktionierende soziale Sicherungssysteme – vor allem die Kurzarbeit und die Insolvenzaussetzung –, die aktuell noch greifen. Danach – nach dem Auslaufen der Regelungen zum Kurzarbeitergeld – kommt die Stunde der Wahrheit und wir werden erfahren, ob und wie viele Menschen dauerhaft ihr Arbeitseinkommen verlieren und unter Umständen auf das Segment des sozialen Wohnungsbaus ausweichen müssen. Generell sehen wir nachfrageseitig den Druck auf den sozialen Wohnbau steigen, da durch die Mietenentwicklung in den Ballungszentren frei finanzierte Wohnungen zunehmend nicht mehr bezahlt werden können – dies gilt natürlich nur bei einem Wohnungswechsel, da das Mietrecht Bestandsmieter recht gut schützt.


Ulrich Müller

Geschäftsführender Vorstand des Katholischen Siedlungsdienstes e. V. (KSD) in Berlin

Was für mich völlig überraschend war: Wir konnten sogar verstärkt Kaufverträge über Telefon- oder Videokonferenz abschließen.

Hat Corona ihre Arbeitsabläufe verändert?

Müller: Natürlich haben wir unsere Prozesse angepasst. So haben wir Vertragsabschlüsse, Wohnungsbesichtigungen und Wohnungsübergaben soweit es geht digitalisiert. Was für mich völlig überraschend war: Wir konnten sogar verstärkt Kaufverträge über Telefon- oder Videokonferenz abschließen – was unsere Vertriebsleute vorher für völlig unmöglich gehalten haben. Wir sehen da sicher einen Trend, den wir weiter beobachten und uns technisch darauf einstellen wollen.

Und intern?

Müller: Auch intern musste wir viele Prozesse im Schnelldurchlauf umstellen–  hier wirkt Covid-19 ebenfalls als Brandbeschleuniger oder Katalysator. Das war ein positiver Lerneffekt. Aber eine schlechte analoge Prozesskette bleibt eine schlechte digitale Prozesskette. Deshalb muss man erstmal seine Prozessketten sauber aufstellen. Das war sehr viel Arbeit, aber es hat bei uns im Haus auch sehr viele Effizienzgewinne bewirkt. Corona hat dabei bestehende Schwachstellen aufgezeigt und für eine deutlich höhere Sensibilität für das Thema IT in den Geschäftsleitungen gesorgt. Wenn wir uns ohnehin in einer Digitalisierungsphase finden, kann das sicherlich nicht schaden.

Wie würden Sie insgesamt die Perspektive des Immobilienmarktes nach Corona einschätzen?

Müller: (lacht laut). Da komme ich an den Anfang zurück! Die Perspektive wird sicher für jeden Immobilienmarkt unterschiedlich sein. Die größten Probleme werden nach meinem Dafürhalten die Filialisten haben. Da haben wir ohnehin einen Strukturwandel. Für den klassischen kleinen Einzelhandel wird es auch Chancen geben, wenn er über Konzepte der Individualität verfügt. Logistik erscheint mir sehr stabil mit einem positiven Ausblick. Hotel wird sich erholen. Allerdings werden sicher nicht alle Hotels überleben. Eine größere Rolle wird wohl die Qualität des Betreibers spielen: Ist das ein Einzelkämpfer oder ein Verbund? Ähnlich in der Gastronomie. Da gilt wie im Einzelhandel: Wenn man individuelle Konzepte findet, wird sich das auf einem gewissen Niveau stabilisieren.

Wie schätzen Sie den Büromarkt ein?

Müller: Büros sind für mich die schwierige Frage schlechthin. Wir haben auf der einen Seite den Trend zum Homeoffice, auf der anderen Seite die Notwendigkeit, Abstandsregeln einzuhalten. Die Hühnerstall-Großraumbüros funktionieren in Zukunft nicht mehr. Da mag ich nicht in die Glaskugel gucken, welche Seite die Oberhand behält. Ganz entspannt kann man eigentlich sein, was die Wohnimmobilie angeht. Ich befürchte sogar, dass Corona preistreibend auf die Immobilienmärkte wirken kann. Die Fundamentaldaten haben sich nur marginal verändert: Der Wunsch nach dem eigenen Haus ist noch stärker geworden. Die Wohnimmobilie ist weiterhin eine sichere Anlageform. Es ist immer noch wahnsinnig viel Geld im Markt. Die Finanzierungsbedingungen sind weiterhin sehr gut, auch wenn die Banken sicher bei der einen oder anderen Finanzierung noch genauer hinschauen werden.

Wie sehen Sie insgesamt die Perspektive für den Immobilienmarkt?

Müller: Ich glaube, vieles steht und fällt mit der Dimension einer zweiten Welle. Wenn wir Schlimmeres verhindern können, sind wir auf einem guten Weg. Um in der Kirchensprache zu bleiben, bleibt mir am Ende das Motto: Glauben – Hoffen – Lieben. Lieben bedeutet für mich in Zeiten von Corona: Wir alle sollten andere nicht durch unser Fehlverhalten gefährden.

Ihr Ansprechpartner bei der Pax-Bank

Das könnte Sie auch interessieren

Immobilienkredite für Umbauarbeiten nach Maß

Immobilienkredite für Umbauarbeiten nach Maß

Der Caritasverband Düren nutzte den Finanzierungsservice der Pax-Bank, um sein Alten- und Pflegeheim „Heilige Familie“ fit zu machen für die Gesetzesanforderungen.

 

 

 

mehr

Immobilienkauf mit wertorientiertem Fundament

Immobilienkauf mit wertorientiertem Fundament

Die Jugendeinrichtung blu:boks BERLIN orientiert sich an christlichen Werten – nicht nur bei ihrer Arbeit.

mehr