Ukraine: "Man kann den Krieg nicht ausblenden"

ca. 4 Minuten Lesezeit

18.03.2022

Das Erzbistum Ivano-Frankivsk in der Westukraine engagiert sich stark für die Binnenflüchtlinge im vom Krieg erschütterten Land. Seit vielen Jahren pflegt die Pax-Bank gute Kontakte dorthin. Priester Markian Bukatchuk ist Schulleiter des dazugehörigen St.-Basilius-Gymnasiums und koordiniert die Hilfe für die kriegsvertriebenen Menschen.

  • Ivano-Frankivsk ist eine Universitätsstadt mit 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Westen der Ukraine, deren Flughafen gleich zu Beginn des Krieges durch russische Angriffe zerstört wurde.
  • Allein in den eigenen Räumlichkeiten hat das Erzbistum 400 Menschen auf der Flucht aus anderen Teilen des Landes aufgenommen.
  • Um bestmögliche Hilfe leisten zu können, bittet das Erzbistum um Spenden.


Herr Bukatchuk, wie ist die aktuelle Situation bei Ihnen?


Markian Bukatchuk: Im Vergleich mit der Situation in anderen Städten im Süden und Osten der Ukraine oder auch in Kiew könnte man sagen, dass hier noch alles in Ordnung ist. Wir haben uns schon ein bisschen daran gewöhnt – leider –, dass es täglich zwei- bis dreimal Luftalarm geben kann, auch in der Nacht. Unser Gegner möchte uns Angst machen, aber wir tun unser Bestes, um uns davon nicht ablenken zu lassen. Erst heute Mittag gab es wieder Luftalarm, und wir mussten uns in den Keller begeben, bis es vorbei war. Ansonsten arbeite ich gerade im Homeoffice und versuche, so gut es geht, meine Arbeit zu erledigen. Es kommen sehr viele Binnenflüchtlinge in unsere Stadt, die wir aufnehmen müssen.

Zur Person

Foto: Pavlo Hedzyk/Erzbistum Ivano-Frankivsk

Markian Bukatchuk erwarb seinen Masterabschluss in Theologie an der Theologischen Fakultät in Fulda und spricht hervorragend Deutsch. Der 29-Jährige übernahm vor knapp einem Jahr die Schulleitung des St.-Basilius-Gymnasiums des Erzbistums in Ivano-Frankivsk. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 machte die Schule eine zweiwöchige Zwangspause. In den Räumen des Gymnasiums sind derzeit Binnenflüchtlinge untergebracht. Seit dem 14. März 2022 wurde der Unterricht online wieder aufgenommen, wenn auch mit einem angepassten Stundenplan. Seine Frau und seine Kinder hat Bukatchuk auf dem Land in Sicherheit gebracht.

Wie viele Flüchtlinge haben Sie aufgenommen?


Markian Bukatchuk: Wir sind 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner in Ivano-Frankivsk und haben rund 50.000 Flüchtlinge aufnehmen können. Sie wurden auf verschiedene Behörden, Schulen und Häuser verteilt. Wir haben die Häuser unseres Erzbistums für die Flüchtlinge geöffnet, das Priesterseminar, das St.-Basilius-Gymnasium, ein Bistumszentrum in der Innenstadt sowie ein Jugendzentrum in den Karpaten. Dort können wir 400 Menschen betreuen. Darüber hinaus haben zahlreiche Pfarrhäuser des Erzbistums Menschen aufgenommen. Und natürlich bieten auch viele Gläubige in ihren Privathäusern Unterkünfte an.

Foto: Pavlo Hedzyk/Erzbistum Ivano-Frankivsk

Welche Hilfe leisten Sie vor Ort?


Markian Bukatchuk: Die Flüchtlinge können bei uns wohnen und werden täglich mit Mahlzeiten versorgt. Manche kommen nur mit Handgepäck an und haben nicht ausreichend Kleidung oder Hygieneartikel bei sich. Auch da versuchen wir auszuhelfen, damit sie sich wieder wie normale Menschen fühlen können. Viele von ihnen haben Schicksalsschläge erlebt oder sind krank. Deshalb bieten wir auch eine kostenlose medizinische Versorgung an und verteilen Medikamente.

Werden die Menschen auch seelisch betreut?


Markian Bukatchuk: Wir stellen unser Klinikum zur Verfügung, wo eine Therapeutin kostenlose psychologische Beratung anbietet. Natürlich sind auch unsere Geistlichen immer ansprechbar für die Menschen. Viele von ihnen wünschen sich geistlichen Beistand und wollen beten. Die Menschen helfen sich auch untereinander, zum Beispiel bieten einige junge Frauen, die sich hier kennengelernt haben, eine Kunsttherapie für Kinder an. Von den Müttern habe ich bereits gehört, dass die Kinder viel ruhiger geworden sind, weil sie sich mit etwas beschäftigen können. So etwas freut mich sehr.

Foto: Pavlo Hedzyk/Erzbistum Ivano-Frankivsk

Wie ist die Versorgungslage?


Markian Bukatchuk: Es fehlt vor allem an Medikamenten, aber auch an einigen Lebensmitteln. Außerdem sind wir allein nicht in der Lage, die Kosten für die Unterkunft, Verpflegung und medizinische Versorgung für die Binnenflüchtlinge auf Dauer aus eigener Tasche zu decken. Deshalb sind wir auch auf Spenden angewiesen und versuchen bei unserem Fundraising alles zu mobilisieren, was wir können.

Hier können Sie spenden

Auf einer Internetseite informiert das Erzbistum Ivano-Frankivsk auf Deutsch über die aktuelle Situation der aufgenommenen Flüchtlinge und bietet die Möglichkeit zu spenden:

Außerdem sammelt der Verein Hilfe Belarus e. V. aus Bergisch-Gladbach auf der Crowdfunding-Plattform der Pax-Bank Spenden für die Flüchtlinge in Ivano-Frankivsk. Für jeden zahlenden Unterstützer, der einen Betrag von 10 Euro oder mehr beisteuert, spendet die Pax-Bank einmalig 5 Euro:

Wie erleben Sie die Stimmung in der Stadt?


Markian Bukatchuk: Wir haben, glaube ich, eine erste Phase der Angst überstanden und spüren jetzt, dass sich das Leben sehr schnell verändert hat. Die Menschen sind unterwegs, die Stadt ist also nicht leer, aber ab 22 Uhr gilt eine Ausgangssperre. Ich habe das Gefühl, dass sich die Leute an die Situation gewöhnen, aber was wir aus den anderen Teilen der Ukraine hören – von den Angriffen, Toten und Verletzten –, das kann man natürlich nicht einfach ausblenden. Deshalb hoffen wir, dass der Krieg so schnell wie möglich gestoppt werden kann und der Frieden das letzte Wort hat. Diese Normalität, die ich versuche zu beschreiben, soll nicht als Ignoranz gegenüber dem Krieg verstanden werden. Wir nehmen das sehr, sehr ernst, und fast jede Familie ist betroffen. Mein Schwager zum Beispiel ist Oberst bei der Armee und wurde eingezogen. Man macht sich schon sehr große Sorgen um seine Nächsten und die Familie.

Markian Bukatchuk

Leiter des St.-Basilius-Gymnasiums

Wir hoffen, dass der Krieg so schnell wie möglich gestoppt werden kann und der Frieden das letzte Wort hat.

Wie gehen Sie mit Ihrer Angst um?


Markian Bukatchuk: Griechisch-katholische Priester können heiraten. Da ich selbst verheiratet und Vater zweier Kinder bin, habe ich vor allem Angst um meine Familie. Und ich kann es sehr gut nachvollziehen, was es bedeutet, wenn eine Frau mit zwei oder drei Kindern zu uns kommt und Hilfe braucht – getrennt von ihrem Mann. Das ist eine Erfahrung, die man nicht machen möchte, aber so ist das Leben derzeit hier. Sie kennen sicher das deutsche Sprichwort: "Halte die Ordnung, und die Ordnung hält dich." Ich sehe bei mir und meinen Freunden und Bekannten, dass sie gut durch den Tag kommen, wenn sie etwas planen, wenn sie helfen, wenn sie beschäftigt sind, wenn sie beten. Die Ängste sind zwar nicht verschwunden, aber das Leben ist dann nicht ganz so schwer, wie es zu sein scheint.

Was möchten Sie den Menschen in Deutschland sagen?


Markian Bukatchuk: Ich möchte allen "Danke" sagen, die uns helfen. Aber in dieser Situation bitte ich nicht nur um Gebete, sondern auch um weitere tatkräftige Unterstützung. Wir haben hier zwar einen lokalen Krieg in der Ukraine, aber es geht dabei auch um Werte, die wir in ganz Europa und in der gesamten zivilisierten Welt teilen. Und dafür kämpfen wir. Wenn wir siegen, ist das ein Sieg aller, die diese Werte mit uns teilen. Deshalb ist das auch ein gemeinsamer Kampf.

Das Erzbistum Ivano-Frankivsk

Die Ukrainische griechisch-katholische Kirche ist eine Teilkirche der Katholischen Kirche. Sie untersteht dem Apostolischen Stuhl, folgt aber dem byzantinischen Ritus in Liturgie und der geistlichen Praxis. Mit etwa 5,5 Millionen Gläubigen in der Ukraine, Polen, den Vereinigten Staaten, Kanada, Südamerika, Australien und Westeuropa ist sie die größte unter den mit Rom vereinten Ostkirchen. Etwa acht Prozent der Ukrainer gehören der griechisch-katholischen Kirche an. In der historischen Region Galizien (Oblaste Lviv, Ivano-Frankivsk und Ternopil) ist die griechisch-katholische Kirche sogar die größte Religionsgemeinschaft. (Quellen: Wikipedia, http://ugcc.ua)

Foto: Pavlo Hedzyk/Erzbistum Ivano-Frankivsk

Ihr Ansprechpartner bei der Pax-Bank

Das könnte Sie auch interessieren

Was der Ukraine-Krieg für Anleger bedeutet

Foto: Getty Images/ffikretow

Der Angriff Russlands auf die Ukraine beunruhigt auch die Menschen in Westeuropa. Viele fragen sich: Ist mein Geld noch sicher? Sollte ich mein Vermögen umschichten? Doch auch bei der Geldanlage empfiehlt es sich, einen kühlen Kopf zu bewahren.

mehr

Grenzenlose Unterstützung

Grenzenlose Unterstützung

Warum die Pax-Bank in der Ukraine eine Vorzeigeschule der griechisch-katholischen Kirche finanziert.

 

mehr