„Beten ist der Schlüssel zur Lösung des Nahostkonflikts“

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07.12.2023

Täglich hören wir in den Nachrichten vom Leid der jüdischen und muslimischen Zivilbevölkerung in Israel und dem Gaza-Streifen. Aber wie trifft der Krieg die Christinnen und Christen im Heiligen Land? Ein Gespräch mit P. Tony Choucry, Generalökonom der Kustodie des Heiligen Landes.

  • Durch den Krieg fehlen den Menschen rund um die Heiligen Stätten wichtige Einnahmen.
  • Die schwierige wirtschaftliche Situation erhöht den Druck für die Christinnen und Christen, auszuwandern.
  • Die Weihnachtsfeiern werden in diesem Jahr sehr zurückhaltend ausfallen.

Welche Auswirkungen hat der aktuelle Krieg im Heiligen Land auf die Kustodie?


P. Tony Choucry: Er trifft die Menschen hier vor Ort sowohl psychologisch als auch physisch. Viele unserer einheimischen Christinnen und Christen arbeiten für kirchliche Einrichtungen. Durch den Krieg bleiben die Pilgerinnen und Pilger fern, weshalb den Hotels, Cafeterias, Verkehrsbetreibern und Geschäften Einnahmen fehlen. Dadurch geraten die Menschen hier vor Ort in wirtschaftliche Not. Wir bezahlen unsere Angestellten weiter, aber das geht natürlich an unsere Reserven, da wir derzeit keinerlei Einnahmen erzielen. Die Menschen haben Angst und brauchen in diesen Zeiten unsere Unterstützung, vor allem die Kinder.

Wo stehen die Christinnen und Christen im Heiligen Land in diesem Konflikt? Wie wirkt er sich auf ihr Leben aus?


P. Tony Choucry: Die Christinnen und Christen wollen in Frieden leben. Sie empfinden keine Verbitterung gegenüber ihren jüdischen oder muslimischen Mitmenschen. Sie wollen einfach ihr normales Leben führen können, frei von Gewalt und Aggression. Wie gesagt sind viele von Ihnen abhängig von Jobs im Umfeld der Pilgerreisen, und wenn die Pilgerinnen und Pilger ausbleiben, gibt es auch keine Arbeit und damit kein Einkommen. Das Leben der Christinnen und Christen hier vor Ort wird immer schwerer, und das erhöht den Druck, auszuwandern. Das ist aber nicht in unserem Interesse. Denn damit würden die Heiligtümer zu reinen Museen. Rund um die Heiligen Stätten, die von den Franziskanern betreut werden, haben sich in der Vergangenheit lebendige christliche Gemeinschaften entwickelt. Sie sind auf unsere Hilfe angewiesen, sei es bei der Unterbringung, der medizinischen Versorgung oder der Ausbildung sowie in Form der Arbeitsplätze, die wir in unseren verschiedenen Einrichtungen zur Verfügung stellen.

P. Tony Choucry und Br. Petrus Schüler vom Kommissariat des Heiligen Landes besuchen Pax-Bank IK-Betreuer Benjamin Büscher und Andreas Machnik, Direktor der Filiale Auslandskunden bei der Pax-Bank.
Kürzlich trafen sich P. Tony Choucry und Br. Petrus Schüler (2. v. r.) vom Kommissariat des Heiligen Landes mit Pax-Bank IK-Betreuer Benjamin Büscher (links) und Andreas Machnik, Direktor der Filiale Auslandskunden bei der Pax-Bank. (Bildquelle: Pax-Bank)

Kürzlich wurde der Erzbischof des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem (LPJ), selbst Mitglied des Franziskanerordens und ehemaliger Kustos des Heiligen Landes, zum Kardinal ernannt. Was bedeutet diese Ernennung Ihrer Meinung nach für die Christinnen und Christen im Heiligen Land?


P. Tony Choucry: Die Ernennung eines Kardinals im Heiligen Land war für die Christinnen und Christen vor Ort sehr bedeutsam, und sie fühlten sich dadurch sehr geehrt. Es war das erste Mal, dass ein Kardinal im Heiligen Land ernannt wurde. Die Einheimischen waren immer der Ansicht, dass Jerusalem als Ort des Lebens, Todes und der Auferstehung Jesu einen Kardinal verdient. Seine Position in der Kirche gibt dieser kleinen christlichen Minderheit eine Stimme innerhalb der Weltkirche und der Welt als Ganzes.

Welche Auswirkungen hat der Krieg auf das Zusammenleben der Religionen im Heiligen Land, insbesondere in Jerusalem und Bethlehem?


P. Tony Choucry: Natürlich tendieren die christlichen Araberinnen und Araber dazu, sich eher mit ihren arabischen Brüdern und Schwestern zu identifizieren, aber als Christen respektieren sie auch die Rechte ihrer jüdischen Brüder und Schwestern. Sie möchten einfach mit beiden Gemeinschaften in Frieden leben. Bislang leben die lokalen arabischen Christinnen und Christen weiterhin Seite an Seite mit ihren arabischen wie mit ihren jüdischen Mitmenschen.

Die Kustodie des Heiligen Landes

Die Kustodie des Heiligen Landes bezeichnet die Ordensorganisation der Franziskaner im Heiligen Land. Sie wurde bereits im 14. Jahrhundert nach dem Abzug der Kreuzritter gegründet. Die Kustodie hat in erster Linie die Aufgabe, die Heiligen Stätten im Heiligen Land zu pflegen und zu erhalten, sich um die Pilger und Touristen zu kümmern, die sie besuchen, und den Christinnen und Christen vor Ort seelsorgerisch zur Seite zu stehen. Die Kustodie engagiert sich für den ökumenischen und interreligiösen Dialog.


P. Tony Choucry ist als Generalökonom für die finanziellen Belange der Kustodie zuständig. Der  57-Jährige hat vor seinem Eintritt in den Franziskanerorden unter anderem im Justizministerium des Libanon, seiner Heimat, gearbeitet. Nach seiner Priesterweihe hat er im Libanon als Pfarrer, Bischofsvikar und Oberer der franziskanischen Gemeinschaft gearbeitet. Dort hat er viele Projekte begleitet und initiiert, um den Armen und jungen Menschen in der Mission zu dienen. Ein wichtiger Aspekt in seinem täglichen Leben war der interreligiöse Dialog. Außerdem war er in alle Aspekte der Verwaltung involviert, einschließlich der Renovierung der Kirchen und Immobilien sowie der Mittelbeschaffung für Projekte und Renovierungsarbeiten.

2022 konnten die Gläubigen erstmals nach der Coronapandemie zu Weihnachten wieder nach Bethlehem strömen. Wie werden Sie Weihnachten in diesem Jahr in Bethlehem feiern?


P. Tony Choucry: Voraussichtlich werden die Feierlichkeiten in diesem Jahr sehr zurückhaltend ausfallen aufgrund des Krieges, von dem wir nicht wissen, wann er enden wird. Aber die Liturgien und Gebete werden wie immer stattfinden. Beten ist der Schlüssel zur Lösung dieses Konflikts.

Kardinal Pizzaballa schrieb kürzlich auf der Homepage des Lateinischen Patricharchats von Jerusalem: "Hilf uns, den notwendigen Rahmen zu schaffen, damit die Saat des Vertrauens, der Hoffnung und der Liebe in dieser von Hass geprägten Gesellschaft weiter aufgehen kann." Haben Sie Hoffnung auf Frieden im Heiligen Land und wenn ja, wie könnte Ihrer Meinung nach der Weg dahin aussehen?


P. Tony Choucry: Als Franziskanerbrüder haben wir uns immer für den Frieden eingesetzt. Wir haben 19 Schulen im Heiligen Land, in denen muslimische und christliche Kinder gemeinsam lernen, hier können wir die Saat des Friedens säen. Der Dialog ist so wichtig, dass wir versucht haben, ökumenisch und mit unseren jüdischen und muslimischen Brüdern und Schwestern in den Dialog zu treten. Vertrauen und Hoffnung entstehen, wenn wir einander kennenlernen, und das ist unsere Mission, die wir auf den Spuren des heiligen Franziskus verfolgen, der uns lehrte, die Saat des Friedens und der Harmonie zu säen, wo immer wir hingehen.

 

Anmerkung: Die Fragen haben wir P. Tony schriftlich auf Englisch gestellt. Sie wurden von ihm auf Englisch beantwortet. Die Übersetzung erfolgte durch die Pax-Bank mit Unterstützung von KI.

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