RENAFAN: Menschenwürdige Pflege statt Industriestandards

ca. 7 Minuten Lesezeit

26.04.2022

Shaodong Fan ist Gründer und Geschäftsführer des Pflegedienstbetreiber RENAFAN. In Hannover baut der „Betreiber des Jahres 2020“ gerade mit Unterstützung der Pax-Bank ein neues Zentrum. Im Interview spricht Fan über seine Philosophie und erklärt, welche Rolle seine Heimat China bei der Behebung des Pflegenotstands in Deutschland spielen kann.

  • RENAFAN bündelt verschiedene Pflegeleistungen an einem Ort, um individuell auf die Bedürfnisse seiner Kundinnen und Kunden eingehen zu können.
  • Seit 2014 rekrutiert das Unternehmen Pflegekräfte im Ausland, seit 2017 verstärkt in China.
  • Eine eigene Akademie bereitet ausländische Pflegekräfte auf den Einsatz in Deutschland vor.

Herr Fan, mit Unterstützung der Pax-Bank entsteht gerade ein neues Projekt in Hannover. Worum geht es bei dem Projekt?


Shaodong Fan: Es handelt sich um ein bestehendes Gebäude in der Innenstadt von Hannover, in dem unsere Tochtergesellschaft GIS – Gemeinnützige Gesellschaft für inklusive Serviceleistungen – seit vielen Jahren Mieter ist. Vor einigen Jahren hat uns der Vermieter gefragt, ob wir Interesse an dem Objekt haben. Inzwischen ist das vierstöckige Hauptgebäude entkernt, ein Nebengebäude macht Platz für einen dreigeschossigen Neubau. Nach der Fertigstellung, die für Sommer 2023 geplant ist, entsteht dort ein Kompetenzzentrum für Pflege und Betreuung. Dazu gehören neben der GIS-Zentrale mit Schulungsraum und Café drei Wohngruppen, 18 Plätze für betreutes Wohnen, eine Tagespflege für Demenzerkrankte, der ambulante Dienst sowie acht Mitarbeiterwohnungen.

Stationäre Pflege bieten Sie dort nicht an?


Shaodong Fan: Nein. Als wir 2010 mit unserer Projektgesellschaft Juliusturm in die Immobilienentwicklung eingestiegen sind, überwog noch der stationäre Bereich. Aber ich persönlich bevorzuge ambulante Wohnformen wie Wohngruppenkonzepte, weil wir damit individueller auf die Bedürfnisse unserer Gäste eingehen können, auch wenn das herausfordernder ist. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren keine neuen stationären Plätze mehr realisiert. Unser Konzept, das aus unterschiedlichen Bausteinen besteht, nennen wir ServiceLeben. Diese Flexibilität setzen wir übrigens auch bei unseren Projekten in China um.

Foto: Revitan GmbH
So sieht das neue Pflegezentrum in Hannover nach der Fertigstellung aus. Der Innenhof bietet Platz für den Fahrzeugpool.

Was ist die Rolle der Pax-Bank?


Shaodong Fan: Nach der Fertigstellung verkaufen wir das Objekt in Hannover an die Aachener Grundvermögen, die es an uns vermietet. Um unser Eigenkapital zu schonen, haben wir bei der Pax-Bank eine Vorfinanzierung für das Objekt beantragt.

Wie entstand der Kontakt zur Pax-Bank und warum haben Sie sich für ihr Angebot entschieden?


Shaodong Fan: Der Kontakt kam über Herrn Budi zustande, der zuvor bei unserer früheren Hausbank beschäftigt war. Die Pax-Bank ist unseren Wünschen weitestgehend nachgekommen. Doch neben rationalen Gründen spielten auch emotionale Gründe eine Rolle. Nach der Corona-Pandemie habe ich einiges vor und habe daher Interesse an einer langfristigen Zusammenarbeit. Im Gegensatz zu vielen Großbanken versteht die Pax-Bank die Besonderheiten unserer Branche.

Berücksichtigen Sie bei der Umsetzung auch Nachhaltigkeitsaspekte?


Shaodong Fan: Ja, wir haben das Objekt konsequent energieeffizient entwickelt. Unter anderem richten wir einen Carport mit Solardach sowie zwölf Ladestationen für die Elektropoolfahrzeuge der GIS ein. Unsere etwa 80 Behindertentransporter in Hannover stellen wir derzeit auf Hybridfahrzeuge um.

RENAFAN

Der Pflegeanbieter wurde 1995 nach Einführung der Pflegeversicherung von Renate Günther und Shaodong Fan gegründet. Günther war zuvor Pflegedienstleiterin in der ambulanten Pflege. Fan war 1986 nach Deutschland gekommen, um Physik und Elektronik zu studieren, und verdiente sich sein Studium als Pflegehelfer. Renate Günther hat sich inzwischen aus der Leitung des Unternehmens zurückgezogen. Die RENAFAN-Gruppe beschäftigt rund 4.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die 7.400 Kundinnen und Kunden betreuen. Seit 2017 hat RENAFAN sechs Einrichtungen in China aufgebaut. 2020 wurde RENAFAN auf der Altenheim EXPO als Betreiber des Jahres ausgezeichnet.

Warum richten Sie in dem neuen Objekt auch Mitarbeiterwohnungen ein?


Shaodong Fan: Wir sind seit Anfang 2014 in der Anwerbung von Fachkräften aus Drittländern aktiv, weil wir damals gemerkt haben, dass das Personal in der Pflege knapp wird. Aufgrund dieser Erfahrungen wissen wir, dass Wohnmöglichkeiten für die Mitarbeiter ganz wichtig sind.

Woher stammen diese Fachkräfte?


Shaodong Fan: Als Physiker weiß ich: Wasser fließt nur von oben nach unten. Deshalb haben wir von Anfang an in Ländern rekrutiert, in denen die Lebens- und Arbeitsbedingungen schlechter sind als in Deutschland - anfangs überwiegend in den Ländern des Balkans, vor allem Kroatien, Bosnien und Serbien. In dieser Zeit ist unser Anteil an Beschäftigten mit Migrationshintergrund von unter 5 auf über 30 Prozent gestiegen.

Unter anderem wollen Sie auch in Ihrer ursprünglichen Heimat China Pflegefachkräfte für den deutschen Markt ausbilden und anwerben. Wo steht dieses Projekt?


Shaodong Fan: Wir haben unsere Chinaaktivitäten 2015 gestartet, zunächst in Form von Fort- und Weiterbildungen. Bis zum Beginn der Coronapandemie haben wir fast 50 ausgebildete Krankenschwestern aus China nach Deutschland geholt. 2017 haben wir mit der Ausbildung von chinesischen Fachkräften in Deutschland begonnen. Aktuell machen etwa 30 Menschen aus China eine Ausbildung bei uns in Deutschland. 2019 haben wir einige Häuser in China eröffnet. Wegen der Coronapandemie mussten wir die Eröffnung weiterer Einrichtungen in den letzten beiden Jahren stoppen. Mittlerweile beschäftigen wir in Deutschland Fachkräfte aus China in wichtigen Funktion, die wir nach ein paar Jahren nach China zurückschicken, um dort weitere Fachkräfte für den deutschen Markt auszubilden. Zwischen beiden Ländern herrscht ein intensiver Austausch.

Foto: RENAFAN Group
Auch in China, der Heimat des Firmengründers Fan, ist RENAFAN seit 2017 vertreten.

Wie begleiten Sie ausländische Pflegekräfte bei der Integration in Deutschland?


Shaodong Fan: Einen wichtigen Anteil hat unsere eigene Akademie, die unter anderem die Kenntnisprüfung für Menschen mit ausländischen Abschlüssen abnehmen darf. Dort ist auch ein eigenes Sprachinstitut angegliedert, das eine Telc-Lizenz besitzt und die für die Arbeit in Deutschland erforderlichen Sprachkenntnisse zertifizieren kann. Unser mittel- oder langfristiges Ziel ist es, in China die Ausbildung nach dem deutschen Erfolgsmodell der dualen Ausbildung mit seinem hohen Praxisanteil zu etablieren. Leider ist durch die Pandemie alles eingeschlafen.

Kann das ein Modell sein, um den Pflegenotstand in Deutschland zu beheben?


Shaodong Fan: Um den Pflegenotstand zu beheben, braucht es konsequentes Rekruiting und Ausbildung. Menschen mit einem indoeuropäischen oder indogermanischen Sprachhintergrund sind hier sicher einfacher zu beschulen und bestehen die Sprachprüfung meistens früher. Kulturell sehe ich nicht so große Unterschiede, wie viele vielleicht annehmen. Die Eurasier hat man erst vor 2.500 Jahren getrennt. Allerdings brauchen wir auch in China Pflegekräfte und das Land rekrutiert teilweise selbst im Ausland, vor allem auf den Philippinen.

Shaodong Fan

Gründer von RENAFAN

Wenn man die Pflegekräfte nach Deutschland geholt hat, dann hat man maximal 50 Prozent der Aufgabe erledigt.

Worauf kommt es an, damit Ihr Modell funktioniert und Zukunft hat, das heißt damit die Menschen nicht nur kommen, sondern auch bleiben.


Shaodong Fan:
Wenn man die Menschen nach Deutschland geholt hat, dann hat man maximal 50 Prozent der Aufgabe erledigt. Wir haben deshalb ein Betreuungskonzept für die ausländischen Fachkräfte. Ganz wichtig ist Wohnraum. Dazu gehören aber auch lebensvereinfachende Maßnahmen wie der Abschluss der Krankenversicherung und der Bankverbindung. Weiterführende Sprachkenntnisse sind ebenfalls wichtig. Aus meiner eigenen Erfahrung als Student an der TU Berlin weiß ich, dass die vorgeschriebenen Sprachkenntnisse nur ein Passierschein sind, aber nicht für den Alltag ausreichen. Und die Betreuung bei der Arbeit muss sichergestellt sein, damit man die Nöte der Leute ernst nimmt und kulturelle Unterschiede akzeptiert.

Sie stammen selbst aus China. Wie beeinflusst das Ihre Philosophie und wo sehen Sie Unterschiede in der Pflege zwischen Deutschland und China?


Shaodong Fan:
Ich glaube, woanders ist man weniger prozessorientiert als in Deutschland. Ich wünschte mir manchmal, dass die Regeln auch hier nicht so starr wären und sich nicht zu sehr an Industriestandards orientieren. Ich war immer ein Kritiker der dogmatischen Anwendung der MDK-Regeln. Natürlich haben auch wir Standards. Aber die Regeln sollten dazu dienen, dass die Menschen zufrieden sind. Und ich glaube, die Leute wollen zuallererst eine menschenwürdige Behandlung. Menschen sind individuell. Das muss man verstehen.

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